Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
einer Gruppe gefangener Erinyen, während Hanafehls eisige Augen jede von Zervanas Bewegungen verfolgten. Im Gegensatz zu den anderen Angehörigen seines Volkes, die – obwohl sie mit dem Rücken zur Sonne standen – immer wieder blinzelten, schien das Sonnenlicht den Anführer der Ghule nicht im Geringsten zu stören.
Gemessenen Schrittes trat Zervana vor die gefangenen Erinyen, die dafür verantwortlich waren, dass es einigen Halblingen gelungen war, die wenigen Minenarbeiter zu befreien, die sie noch gehabt hatte. Es war nicht der entgangene Ertrag, der sie ärgerte, denn die paar Halbhohen waren ohnehin alt und verbraucht gewesen, und bald schon würde sie eine ganze Sklavenarmee aus Halblingen in die Silbermine schicken können. Nein, es war die Tatsache, dass sich Erinyen von diesen kleinen, Mitleid erregenden Kreaturen hatten überlisten lassen.
Eine nach der anderen inspizierte sie die Frauen, die mit gesenkten Häuptern vor ihr standen. Ihre Umhänge hatte man ihnen abgenommen, so wie ihre gesamte Kleidung. Noch immer verunstalteten zahlreiche rote Pusteln die bleiche Haut der Gefangenen.
»Schon einmal musstet ihr warten, bar jeglicher Kleidung.« Zervanas Stimme durchschnitt die Luft, worauf auch das letzte Getuschel verstummte.
»Doch damals war es, um den Bund des Blutes zu schließen. Eins solltet ihr werden mit den Feuern der Erde, auf dass eure Flammen für mich brennen bis ans Ende eurer Tage.«
Zervana hielt inne, packte eine der Erinyen an ihrem schwarzen Haar und bog ihren Kopf zurück, sodass sie ihr ins Gesicht sehen musste. »Mein Leben lang mit Stolz und Mut, bis mein Geist und Blute ruht«, rief sie laut, »war es nicht so?«
Die Erinya deutete ein Nicken an, ihre dunklen Augen wirkten gebrochen. Zervana ließ von ihr ab und stolzierte zu Yorak, der ihr eine kleine Schatulle reichte. Dann ging sie zurück und öffnete das aus dunklem Holz gefertigte Kästchen. Sie entnahm ihm mehrere Silberketten und hängte sie eine nach der anderen den gefangenen Frauen um den Hals. »Silber aus den Tiefen der Hohen Wand von Myrador«, erklärte sie. »Es gab nicht viel davon in den letzten Tagen, deshalb ist das Geschmeide ärmlich und einer Erinya kaum würdig. Doch es muss genügen.«
»Wofür ist es?«, wagte eine von ihnen zu fragen. Ein Hoffnungsschimmer trat in ihre grünen Augen, die so wundervoll zu ihrem flammend roten Haar passten. Zervana verspürte einen leisen Anflug von Bedauern. »Für eure Reise«, sagte sie und verlieh ihrer Stimme einen honigsüßen Klang. Verwirrung zeichnete sich auf den Gesichtern der Gefangenen ab.
»Welche Reise?«, wollte die Rothaarige wissen und reckte trotzig ihr Kinn nach vorn.
Zervana schritt auf sie zu. Fast schon zärtlich strich sie ihr einige der roten Locken aus dem Gesicht und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Die Reise, zu der alle Versagerinnen aufbrechen«, flüsterte sie. Zervana erkannte, dass die Erinya verstand, denn ihre Augen weiteten sich. Dann trat Zervana zurück und ihr Lächeln verschwand. Blitzschnell schlug sie mit ihrer Geißel zu, deren Enden sich um den Hals der Frau legten. Mit einem Ruck riss sie die Erinya nach vorne, sodass sie auf die Knie sank. Zervanas Fackel loderte hell auf, die Flammen knisterten, und schließlich drückte sie sie der Frau in die Brust. Die Gepeinigte schrie auf, wand sich vor Schmerz, doch es gab kein Entrinnen. Zervana drückte fester zu, und nach und nach brannte sich das Feuer tiefer ins Fleisch. Zervana beachtete den Todeskampf nicht weiter, sondern wandte sich an Moydana und nickte ihr zu. Ein böses Lächeln stahl sich auf deren Gesicht, und nur wenige Lidschläge später erklang das Geschrei der anderen Gefangenen.
Kurz bohrte sich Zervanas Blick in Hanafehl, dann schloss sie die Augen und lauschte genüsslich den Todesschreien, bis diese verstummten und nur noch ein leise säuselnder Wind zu hören war, der die Asche der Verbrannten davontrug.
Schließlich öffnete Zervana ihre Augen wieder. »Nach Norden!«, rief sie. Wie ein Peitschenknall hallte ihre Stimme über die Köpfe ihrer Streiterinnen und der Ghule hinweg, und ein Heer, tödlich und unaufhaltsam zugleich, setzte sich nach Westendtal in Bewegung.
21. DER HOHE PASS
Hart prallte Jorim auf den Boden. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, und auch Bronn stöhnte neben ihm. Die Ghule hatten sie ein ganzes Stück über ihren Schultern getragen und sich nicht einmal die Mühe gemacht, die beiden Halblinge zu fesseln.
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