Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
Dracheneier in dem großen Kristall. Ganz gewiss war dies der Ort, von dem das Drachenweibchen gesprochen hatte. Doch Enna fragte sich, was sie ihr damit hatte sagen wollen. Was genau sollte sie hier tun?
»So geht zurück in die Welt und vertraut darauf, dass das Gleichgewicht eines Tages wieder hergestellt wird«, erklang die Stimme des Gulvars.
»Was?«, rief Enna. »Eines Tages? Dann wird es Westendtal und die Halblinge nicht mehr geben!«
»Sie hat recht«, empörte sich auch Bronn. »Diese grässlichen Knochenweiber und stinkenden Ghule werden alles beherrschen!«
»So stellt euch an die Seite derer, die euch wichtig sind, und vertraut euch dem Lauf des Lebens an«, entgegnete der Gulvar ungerührt.
»Ein Weg, der für viele den Tod bedeuten wird«, sagte Enna. Sie war enttäuscht darüber, dass die beiden mächtigen Wesen – trotz ihrer angeblichen Weisheit – ihr nicht helfen wollten. Außerdem fühlte sie sich plötzlich schuldig, denn die anderen waren ihr auf diese Reise gefolgt, die sich nun als vergebens herausstellte. Ihretwegen war Yrm gestorben, und das nur, weil sie einem Traum nachgelaufen war.
»Lass dich nicht von Trauer beherrschen«, erklang wieder die Stimme des Silberdrachen. Seine bernsteinfarbenen Augen fixierten Enna. »Höre auf dein Herz, und hab den Mut zu tun, was unmöglich scheint.«
Dann schwenkte er den großen Kopf plötzlich zu Jorim. Der versteifte sich ein wenig und ging einen Schritt zurück. »Oft sind es gerade die närrischen Entscheidungen, die dem Schicksal einen neuen Verlauf geben«, fügte er hinzu, und Enna hatte das Gefühl, dass er nichts weiter sagen würde.
»Hätten wir das gewusst, so hätten wir uns den Weg sparen können«, raunte Bronn. »Hätte ich es nur damals schon gewusst.« Brüsk wandte er sich ab und ging in Richtung des Höhlenausgangs.
»Lasst uns gehen. Wir werden einen Weg finden«, sagte Alvendorah. Die Elfe versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben, doch Enna sah ihr die Enttäuschung an.
»Genau, wir finden eine Lösung. Und wenn es sein muss, dann eben ohne Drachen!«, rief Jorim trotzig, sodass es der Drache und der Gulvar hören mussten. Keiner von beiden reagierte jedoch darauf.
Nacheinander gingen die Gefährten in Richtung des Tunnels. Alle sahen niedergeschlagen aus – nur Gwendalon nicht. Der Elf wirkte in sich gekehrt, offenbar hing er anderen Gedanken nach.
Kurz bevor sie die riesige Höhle verließen, wandte sich Enna noch einmal um. Sowohl der Gulvar als auch der Silberdrache hatten sich erneut niedergelegt, waren wieder mit dem Boden verschmolzen. Nur die Augen des Drachen waren noch geöffnet, und einen Moment lang glaubte Enna, dass seine Aufmerksamkeit Jorim galt, doch mit Sicherheit konnte sie es nicht sagen.
Erst als Jorim nach ihrer Hand griff und sie mit sich zog, folgte Enna ihren Gefährten. Nach einer Weile fiel ihr allerdings auf, wie seltsam still ihr Bruder sich verhielt.
»Weshalb bist du so schweigsam?«, fragte sie ihn.
Zunächst zuckte er nur mit den Schultern, doch dann blitzte der Schalk in seinen Augen auf, und ein amüsiertes Grinsen legte sich auf sein Gesicht. Schließlich deutete er mit dem Finger auf eine Ausbeulung unter seinem Umhang. Vorsichtig, sodass die anderen es nicht sehen konnten, schob Jorim nun den Stoff ein wenig zur Seite. Enna sog die Luft ein, als sie erkannte, was Jorim da verbarg: Es war ein Drachenei!
»Ich hatte da so eine Idee«, flüsterte er.
27. HEIMKEHR
Das sanfte Strömen des Erenin war ein vertrautes Geräusch: ein sachtes Plätschern hier, ein leises Gurgeln dort. Untermalt vom steten Knarren sich drehender Mühlräder wand sich der Fluss durch die Auen, verzweigte sich mehrfach, als wolle er so viel wie möglich des saftigen Graslandes mit seinem Wasser versorgen. Dann vereinte er sich wieder, bis er sich in der Gräsernen Furt erneut aufteilte, um endgültig ins Meer zu fließen.
Elvor Sternenfaust und Jul Mühlenstein hielten an, weil Bronns ehemalige Recken kurz vor Flusstal plötzlich stehen geblieben waren und die Augen geschlossen hatten. Mit erhobenen Köpfen lauschten sie, und ein Lächeln breitete sich auf ihren gealterten, von Falten durchzogenen Gesichtern aus.
»Wie sehr habe ich das vermisst«, sagte Ambrin Flusstal leise. Selbst er, der meist griesgrämig und skeptisch war, zeigte heute, am Tage ihrer Rückkehr, ein versonnenes Lächeln.
»Wie konnten wir unsere Heimat nur jemals verlassen?«, fragte auch Talegrin Westwind laut.
Weitere Kostenlose Bücher