Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
ich bewache die Eier, denn in ihnen liegt die Zukunft.«
»Was redet er da?«, fragte Jorim an Gwendalon gewandt, vermutlich weil er hoffte, der mysteriöse Krieger könnte eine Erklärung liefern.
»Es ist unfassbar«, flüsterte der Elf, und in seinen Worten schwang Ehrfurcht mit. »Dies ist für uns alle ein bedeutender Moment, und es ist eine Ehre hier zu sein.«
»Gwendalon, was meinst du damit?«, fragte Alvendorah.
»Er ist Anduviel-Akaren! Er hat den höchsten Grad erreicht, den ein Krieger oder überhaupt ein Lebewesen erreichen kann!«
Gwendalon blickte hinauf zu dem riesigen Wesen, und es war für Enna unverkennbar, dass er tief bewegt war, denn in seinen Augen glitzerte es. »Sein Bewusstsein hat sich in solchem Maße erweitert«, fuhr der Elf fort, »dass er mit dem Ursprung allen Seins verbunden ist und dadurch eine tiefe innere Ruhe erfährt. Schlachten, Sieg oder Niederlage, all das ist für ihn bedeutungslos geworden. Er kennt weder Wut noch Zorn, weder Hass noch Neid brennen in ihm. Nur die stille Präsenz ewigen Friedens erfüllt diesen Silberdrachen.«
»Das ist wahr«, sprach der Drache zu Gwendalon. »Und ich sehe, dass auch du nicht weit von dem entfernt bist, was dein Volk Anduviel-Akaren nennt. Um diesen Zustand zu erreichen, müsstest du jedoch alles loslassen und deine Klinge senken. Nur so findest du die Stille.« Der Drache musterte Gwendalon eine Weile, ehe er weitersprach. »Doch das kannst du nicht, denn du fürchtest um das Leben jener, die dir am Herzen liegen. Du willst sie schützen, und so bindet die Angst zu verlieren, was du liebst, dich an dein Schwert. Und gerade diese Angst hält dich davon ab, die letzte Stufe zu erklimmen. Dabei müsstest du diesen Schritt nicht einmal alleine tun, denn es gibt jemanden, der mit dir gehen würde. Aber noch ist sie nicht dazu bereit. Erst eines fernen Tages – vielleicht.«
Enna beobachtete, wie Gwendalon kurz zu Alvendorah hinübersah, die seinen Blick erwiderte, dann aber den Kopf abwandte.
»Ihr beide sprecht, als hättet ihr Rimbors Borkenschnaps nicht vertragen«, unterbrach Jorim den Zauber des Augenblicks. »Also, eigentlich hütest du nur die Dracheneier dort.« Er deutete auf den riesigen Kristall, der vor dem Drachen eher wie ein kleiner Diamant anmutete.
Die Augen des Drachen wandten sich nun Jorim zu. Enna wusste nicht, ob ein Drache schmunzeln konnte, doch wenn dies möglich war, dann tat es der Silberne gerade.
»Niemand weiß, ob es ein Drache sein wird, der dem Ei entschlüpft«, sagte er.
»Oder ein Gulvar!«, donnerte da eine andere Stimme durch den Kraterberg. Sie klang wie ein fauchender Sturm. Ein Rumpeln erfüllte die Höhle, dann schien der Fels entzweigerissen zu werden, und der Boden erbebte.
Enna und Jorim wirbelten herum, wobei Jorim ins Taumeln geriet und Enna mit sich riss, sodass sie beide rücklings gegen den Kristall stolperten. Auch Alvendorah und Gwendalon fuhren blitzschnell herum, ihre Waffen in den Händen haltend.
Zwei mächtige Köpfe erhoben sich nun unmittelbar vor ihnen, und Enna gefror das Blut in den Adern: Es war ein riesiger Gulvar, mindestens genauso gewaltig wie der Silberdrache. Das aus dem Boden ragende Felsgestein, das sich rechts von ihnen hingezogen hatte, als sie die Höhle betreten hatten, erwies sich nun als der mächtige Rücken dieses Wesens. Wie andere Gulvare auch war der hier schwarz; nur die Flügel und die Dornenplatten auf seinem Rücken schimmerten silbrig und waren von rötlichen Adern durchzogen, womit sie genau umgekehrt gefärbt waren wie die Hornplatten auf dem Rücken des Silberdrachen. Und nun verstand Enna: Beide Wesen hatten unbemerkt auf dem Boden gelegen und durch ihre massigen Körper einen Ring um den Kristall in der Höhlenmitte gebildet.
»Fürchtet euch nicht«, erklang die Stimme aus beiden Köpfen gleichzeitig. »Denn ist mein Körper auch das Gegenstück des Drachen, unser Geist ist ein und derselbe.«
»Also bist auch du Anduviel-Akaren?«, mutmaßte Enna, obwohl sie die Bedeutung dieses elfischen Begriffes nicht wirklich erfasste.
»So ist es!«, bestätigte der Gulvar. »Gemeinsam sind wir eins und wachen über jene, die den Kampf des Gleichgewichts in der Zukunft ausfechten werden, doch heute noch verletzlich sind.«
Enna riss die Augen auf. Ihr Traum! Wo das Herz der Erde schlägt, liegt verborgen, was zerbrechlich ist und doch das Gleichgewicht der Welt wahrt. Dies waren die Worte des roten Drachen gewesen. Grübelnd musterte sie die
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