Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
»Wir sind ausgezogen, nur um festzustellen, wie schön es zu Hause ist.«
Pim Himmelsauge zuckte mit den Schultern. »Auf andere Weise hätten wir niemals erkannt, dass es in Westendtal am schönsten ist.«
»Da magst du recht haben«, pflichtete Rimen Dornenschlag ihm bei. Schon seit einer ganzen Weile hatte er sich seine Narbe gekratzt, sodass seine Wange nun so heftig glühte, als sei er geohrfeigt worden.
Auch Talegrin nickte nachdenklich. »So muss es wohl sein. Vielleicht können nur die Verlorenen wirklich heimkehren.«
Mit einem Mal eilte Ambrin zum Flussufer, suchte sich eine seichte Stelle und stieg ins Wasser. Er tauchte den Kopf hinein und wusch seine fettigen grauen Haare.
»Was macht er da?«, wollte Elvor wissen und ging einige Schritte ans Flussufer heran.
»Er wäscht sich«, antwortete Pim.
»Das sehe ich, aber warum ausgerechnet jetzt?«
»Ambrin gehört zu einer der ältesten Familien in Flusstal«, erklärte Talegrin. »Daher lautet ihr Name auch wie dieses liebliche Tal hier. Schon immer wuschen sich die Flusstals nur im Erenin, der durch Flusstal verläuft.«
»Davon habe ich noch nie gehört«, entgegnete Elvor und strich sich nachdenklich übers Gesicht.
Daraufhin trat Talegrin direkt neben Elvor, behielt jedoch Ambrin im Blick und sprach leise weiter. »Das kannst du auch nicht. Es gibt keine Flusstals mehr. Ambrin ist der Letzte. Erst während seiner Gefangenschaft wurde ihm dies wirklich bewusst, und seither ist er ein Griesgram. Der Name Flusstal wird wohl eines nicht mehr allzu fernen Tages mit ihm sterben.«
»Das ist traurig«, meinte Jul, der das Gespräch mit angehört hatte.
»Deinen großen Ohren entgeht aber auch nichts«, lästerte Elvor, klopfte ihm aber versöhnlich auf die schmalen Schultern.
»Lasst uns weitergehen«, rief er dann. Rimen und Pim halfen Ambrin rasch aus dem Wasser, sodass sie ihren Weg fortsetzen konnten.
Die Sonne sank bereits auf die Gipfel der Schroffen Berge im Westen zu, als sie sich dem Ostrand von Eichenhain näherten. Die kleine Gruppe hatte beschlossen, direkt zu Rimbors Taverne zu gehen. Da dies die wichtigste und am meisten besuchte Taverne in Westendtal war, würden sich von hier aus die Neuigkeiten am schnellsten verbreiten.
Die Birken, die um das Wirtshaus herum wuchsen, wiegten sich leicht im Wind und ihre Blätter raschelten leise. Als sie das lichte Wäldchen durchschritten, wurde Talegrin langsamer und betrachtete eine der Birken. »Diese hier muss es sein«, sagte er in Gedanken versunken, lief um den Stamm herum und betrachtete ihn eingehend. Dann runzelte er die Stirn. »Nein, doch nicht.«
Er ging zu einer anderen, strich mit den Fingern darüber, und nun machte sich ein Lächeln auf dem Gesicht des kleinen Halblings breit. »Diese hier ist es!«
Die anderen traten näher. Mit einem Finger wies Talegrin auf Initialen im Stamm, die man nur noch erkennen konnte, wenn man unmittelbar davor stand.
»S und A«, las Elvor die beiden Buchstaben vor.
Ambrin, dessen Haare nun fast schon wieder trocken und auch nicht mehr ganz so fettig waren, nickte. »Bronn und Aila.«
»Bronn?«, wunderte sich Elvor. »Da steht doch ein S!«
»Ein S für Sternenfaust!« Wieder einmal war es Talegrin, der Elvor aufklärte. »Bronn bildete sich viel ein auf seinen Nachnamen. Er war sehr stolz – damals. Hatte immer einen provokanten Spruch auf den Lippen, und nicht jeder mochte ihn.«
Nachdenklich betrachtete Elvor die Initialen. Offenbar hatten Bronn und er mehr gemeinsam, als er gedacht hatte.
»Aila war seine erste Liebe. Sie waren damals fast noch Kinder.«
»Was wurde aus ihr?«, fragte Elvor.
»Sie wurde ermordet.«
»Ermordet?«
Talegrin nickte traurig. »Es geschah in den Vergessenen Tälern, nahe dem Grenzsee. Bronn nahm Aila oft auf kleine Wanderschaften mit. Sie wurden von Menschen überfallen. Es waren wahrscheinlich Wegelagerer. Ich weiß nicht, was genau geschah. Nur Bronn weiß es – denn er musste es mit ansehen.«
»Hat er sich deshalb der Kriegskunst zugewandt?«
»Ja. Er hat sich selbst beigebracht, Dolche zu werfen; und während seiner Reisen fand er wohl den ein oder anderen Waffenmeister, der ihn ernst nahm und ihn unterrichtete.«
»Später konnte er uns dann so manchen Trick beibringen«, ergänzte Rimen.
Elvor seufzte. Wie wenig er doch über seine Familie wusste. Er fragte sich, ob sein Vater, Tondurim Sternenfaust, diese traurige Geschichte gekannt hatte. Falls ja, so hatte er Elvor zumindest nie davon
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