Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
verflog schon bald ihre gute Stimmung, und auch Bronn und Jorim schienen ins Grübeln gekommen zu sein.
Enna mochte überhaupt nicht mehr über all das nachdenken, also schwatzte sie Jorim das Ei ab und begann während ihres Marsches leise mit ihm zu reden. Inständig hoffte sie, dass darin ein kleiner Drache schlummerte und nicht ein Gulvar. Zärtlich strich sie mit den Fingern über die raue Schale, welche nun – dem Licht des roten Kristalls entrissen – die Farbe des hellen Sandes hatte, wie er an den Stränden der Gräsernen Furt von Westendtal zu finden war.
Schnell und leise waren die Elfen nach Osten gelaufen und hatten weit im Süden den Grenzsee an dessen schmalster Stelle überquert. Nun waren sie in Eren-Danan, dem verlassenen Reich der Südelfen. Doch noch immer bargen die Wälder des Elfenreiches jene Geheimnisse, die selbst ihr Volk nicht immer zu ergründen vermochte. Gefolgt von Gwendalon eilte Alvendorah in den Wald hinein. Dort hielt sie an, ließ ihren Blick über die Farne schweifen, die hier am Boden wuchsen. Ein Eichelhäher flog laut schimpfend davon; der sonst so wachsame Hüter des Waldes hatte die Elfen zu spät bemerkt.
Alvendorah sah ihm hinterher, dann ließ sie sich auf ein Knie nieder und legte die rechte Hand auf den Boden. Sie schloss die Augen und versuchte die Bewegungen in der Erde zu spüren. Jedes Lebewesen hinterließ seinen eigenen Fußabdruck, doch nicht alle dieser Spuren waren auch sichtbar. Man musste sie ertasten und erspüren. Es war eine ganz bestimmte Schwingung, nach der Alvendorah heute suchte. Sie hoffte nur, diese Wesen hatten die Wälder der Südlande nicht mit den Elfen verlassen. Alvendorahs Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Sie konnte es fühlen, dieses sanfte Pulsieren, so leicht wie eine Feder.
»Die Valandil«, flüsterte die Elfe. »Jäger des Windes! Ich, Alvendorah, jüngste Tochter aus dem Hause Enduriel, habe euren unvergänglichen Lebensatem erspürt, und ich bitte euch: Helft uns!«
»Was tut Ihr da?«, flüsterte Gwendalon und legte Alvendorah eine Hand auf die Schulter. Die andere Hand griff nach seinem Schwert und zog es einen Finger breit aus der Scheide. »Ihr ruft Wesen, die älter sind, als das Volk der Elfen. Die Valandil sind unberechenbar.«
Alvendorah erhob sich. »Wir haben keine Zeit, Gwendalon! Nur so erreichen wir noch heute vor Mitternacht die Himmelsklippen.« Sie blickte in seine Augen, und tatsächlich sah sie eine Spur von Unbehagen darin. Alvendorah musste lächeln und ergriff zärtlich die Hand ihres Behüters. »Unser Volk ist uralt und weiß so viel, und dennoch fürchten wir das Wenige, das wir nicht verstehen.«
»Es heißt, die Jäger des Windes sind Wesen der alten Macht. Sie zu rufen bringt Unheil.«
Alvendorah schüttelte den Kopf. »Nicht, solange wir Demut zeigen und ihnen den Respekt zollen, den sie verdienen. Lass uns sein wie das Wasser: Stets strömt es zur tiefsten Stelle, wohl wissend, dass auch der Mächtigste sich zu ihm herabbeugen wird.«
Gwendalon seufzte. Er schob seine Klinge wieder zurück, nahm die Hand vom Schwertgriff und nickte.
Die Elfen mussten nicht lange warten. Mit dem Schatten, den die untergehende Sonne brachte, kam auch der Wind. Eine sanfte Brise raschelte in den Farnen, die sich auf der Haut leicht und warm anfühlte. Etwas flirrte hinter den Baumstämmen, das Zwielicht schien sich zu verdichten und Gestalt anzunehmen. Dann traten sie näher: die Valandil. Zwei dieser pferdegleichen Wesen waren gekommen. Voller Ehrfurcht verneigten sich die beiden Elfen, und Alvendorah schloss die Augen . Danke! Sie sprach dieses Wort nicht aus, sie dachte es, empfand es aufrichtig und mit all ihrer Kraft. Dann bekam sie eine Gänsehaut. Sie glaubte, eine Berührung zu spüren, so weich und sanft auf ihrer Haut wie Blütenstaub. Die Elfe öffnete die Augen, dann hob sie ihre Hand. Sie zitterte ganz leicht, als ihre Fingerspitzen sich den weichen Nüstern eines der beiden Tiere näherten. Ihr war, als würde sie Welten überwinden, als würde sie eine Brücke schlagen, der weder die Winde noch die Elemente etwas anhaben konnten. Alvendorah weinte, als ihre Finger dieses Wesen berührten, dann vergrub sie ihr Gesicht in der Mähne des Pferdes. Es roch nach weiten Wiesen, nach Wald, nach Freiheit.
Schließlich trat sie zurück und schaute zu den edlen Tieren auf. Ihr Fell war von dunklem Grau, ihre wallenden Mähnen und Schweife wogten in einem Wind, der diese Wesen immer umgab. Augen von
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