Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
entfernt, unmittelbar vor ihnen. Sie hob eine Hand, und die Erinyen verharrten reglos an Ort und Stelle. Den Kopf ein wenig geneigt, lauschte Moydana, dann lächelte sie grimmig. Kein Blick ist stärker als der einer Erinya! Ihre Finger schlossen sich um ihre Fackel, und langsam schritt sie vorwärts, direkt auf die Halblinge zu.
Bronn Sternenfaust zog sich über die Felskante hoch und landete heftig atmend auf dem Bauch. Auf verborgenen Pfaden hatten ihn die Irrlichter durch ein Labyrinth geführt, von dem selbst er nichts gewusst hatte. Es war eine Reise gewesen, auf der er jegliches Gefühl für Zeit und die zurückgelegte Entfernung verloren hatte. Zu verworren waren die Wege zwischen Felsen, knorrigen Bäumen und dichten Büschen gewesen.
Zuletzt hatte er noch einen steilen Anstieg erklimmen müssen, deshalb musste er jetzt erst einmal durchatmen, bevor er sich erhob.
Vor ihm erstreckte sich grauer Fels, zumindest soweit Bronn es erkennen konnte. Windböen peitschten den Regen durch die Felsformationen hindurch, und die Dämmerung begann sich über das Land zu senken.
Er holte noch einmal tief Luft, umklammerte den kleinen hölzernen Anhänger und lief weiter. Als er glaubte, einen guten Platz gefunden zu haben, ließ er sich nieder, nahm den kleinen Waldkauz von seinem Hals und hielt ihn mit beiden Händen fest. Ungeachtet des Regens schloss Bronn die Augen und konzentrierte sich auf seinen Atem. Noch einmal dachte er an sein bisheriges Leben und besonders an all jene, die an seiner Seite gegangen und schließlich gestorben waren. Er begann mit Yrm und Fundil, dachte an seine Gefährten aus der alten Truppe, an seinen Sohn Tondurim, den er kaum gekannt hatte, und verweilte schließlich lange Zeit bei Aila Eichenstamm, seiner großen Liebe.
»Aila«, flüsterte er. »So viele, die mir lieb und teuer waren, sind gestorben. Ich dachte, es läge an mir, glaubte, das Schicksal wolle mich strafen, dafür, dass ich anders war als die meisten Halblinge, und dafür, dass ich Westendtal verlassen habe. Lange Zeit glaubte ich, ich würde jeden, dem ich gestattete, mir zu folgen, gleichzeitig zum Tode verurteilen. Doch mittlerweile weiß ich, dass nicht ich darüber entscheide, wer lebt oder stirbt. Es sind die Kräfte, die uns umgeben und die wir akzeptieren müssen. Vielleicht habe ich mein Leben nur gelebt, um heute, an diesem Tag, zu dieser Einsicht zu gelangen. Deshalb habe ich mich entschieden, meine Vergangenheit loszulassen und sie den Mächten um uns herum zu überlassen, stets in dem Vertrauen darauf, dass alles einer höheren Bestimmung folgt.« Bronn öffnete die Augen und blickte ein letztes Mal auf den kleinen Waldkauz in seiner Hand. »Aila«, fuhr er fort, »mit dem, was ich jetzt tue, lasse ich nur den Schmerz zurück, nicht die Erinnerung an dich. Die trage ich in meiner Seele. So übergebe ich dieses Andenken nun dem Geist der Berge.«
Bronn drückte den Holzanhänger noch einmal kurz an seine Brust, dann legte er ihn vor sich auf den Boden. Zuletzt schichtete er einige Steine darüber auf, bis die Halskette unter einem kegelförmigen Türmchen begraben war.
Nun blieb ihm nur noch zu hoffen, dass sein Opfer nicht vergebens war und ihn der Graue Fels erhören würde.
Bronn blickte sich um und lauschte. Er musste nicht lange warten, bis er ein Geräusch vernahm. Da waren Schritte, feste, harte Schritte, wie sie nur von jemandem stammen konnten, der sehr selbstsicher war. Dann sah er ein Leuchten, das die grauen Nebelschleier erhellte, doch nicht ganz durchdringen konnte.
»Ich trau den alten Mächten ganz allein, der Graue Fels soll mein Gefährte sein«, wiederholte Bronn die Worte des Irrlichts. Er umklammerte die Steinaxt, holte eine weitere unter seinem Umhang hervor, die er sich im Labyrinth gefertigt hatte, und lockerte den Sitz des Dolches an seinem Gürtel. Dann hielt er auf die Erinyen zu, die sich ihm dort näherten. Er, Bronn Sternenfaust, würde sich ihnen stellen, ganz gleich, ob mit oder ohne grauen Gefährten. Auch wenn es sein letzter Kampf sein würde, ein Zurück gab es nicht mehr. Von nun an würde ihn jeder Schritt, den er tat, nach Hause führen – so oder so.
Die Bewegung war zunächst nur schemenhaft durch einen Vorhang aus Regen zu erkennen. Fünfzig Erinyen waren auf Moydanas Befehl hin stehen geblieben und warteten an Ort und Stelle. Moydana fühlte eine schwer zu bändigende Erregung in sich aufsteigen, eine Begierde nach Kampf und Tod. Sie war froh, endlich zuschlagen
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