Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
Wolkendecke gerissen. Welche Wesen sind noch dort draußen? Und warum sollten sie uns helfen?, fragte sie sich. Was war mit den Völkern im Norden? Sicher hatten sie von den Flüchtenden – sofern diese die Nordlande überhaupt lebend erreicht hatten – erfahren, was in den Südlanden vor sich ging. Doch nahmen die Völker des Nordens die Bedrohung überhaupt ernst?
Der Süden war in der Hand der Erinyen; Ghule durchstreiften das Land und sowohl die Menschen als auch die Elfen von Eren-Danan waren tot oder geflohen. Enna schlang die Arme um ihren Körper, denn sie fror, wenn sie daran dachte, dass das Volk der Halblinge die letzte freie Bastion der Südlande war.
Nein!, schoss es ihr durch den Kopf. So schön die Vorstellung einer helfenden Armee aus dem Norden auch sein mochte, darauf verlassen durften sie sich nicht. Sie wandte sich den anderen zu, die noch immer über den Pfeil diskutierten, und eine Weile lang musterte sie Bronn. Dann erinnerte Enna sich daran, weswegen der legendäre Held einst aufgebrochen war, und es drängte sich ihr eine ganz andere Idee auf.
»Die Drachen!«, flüsterte sie leise.
17. ZERRISSENHEIT
Feuerschein erhellte den Nebel vor ihr, und Enna ahnte, worum es sich dabei handelte: Erinyenfeuer. Sie zitterte am ganzen Leib, dennoch trat sie näher, fühlte sich angezogen von der schaurigen Faszination, die die Erinyen auf sie ausübten. Dann konnte sie die Gestalt erkennen. Groß und düster stand sie vor ihr, ihr zerschlissener schwarzer Umhang hing bewegungslos herab, ihre Haut war bleich wie der Nebel. Ein bösartiges Lachen stahl sich in ihr markantes Gesicht, Augen, schwarz wie Kohle, funkelten Enna an. Die Erinya hob die Fackel, und Enna schluckte schwer. Doch dann regte sich etwas in dem Nebel und bewegte ihn. Auch die schreckliche Frau bemerkte dies, wirbelte herum und riss die Fackel in die Höhe. Die Flammen ihrer tödlichsten Waffe loderten gespenstisch auf, aber es war bereits zu spät. Ein gewaltiger roter Kopf schnellte aus dem wabernden Weiß direkt auf die Fackelträgerin zu. Ein riesiges Maul öffnete sich und offenbarte lange Reihen messerscharfer Zähne. Knisternde Flammen schossen aus dem Schlund des Tieres hervor, und so traf Feuer auf Feuer. Doch es gab nichts, was der flammenden Gewalt eines Drachen entgegengesetzt werden konnte. Die Erinya schrie auf, aber ihr Schrei ging unter in dem Inferno, das über sie kam. Das Feuer verschlang sie, und ein Häufchen Asche zu Ennas Füßen war alles, was blieb.
Stille kehrte ein, das mit Hörnern versehene Haupt des Drachen wandte sich Enna zu. Sie erstarrte vor Angst, doch diese schmolz rasch dahin, als sie in die großen braunen Augen des Tieres blickte. Die länglichen Pupillen waren schwarz, und es war, als loderten in ihnen winzige gelbe Flämmchen. Ennas Herz begann schneller zu schlagen, nicht aus Angst, sondern vielmehr vor reiner Freude. Selbst ihre Fingerspitzen kribbelten, und eine Welle der Zuneigung zu diesem majestätischen Wesen erfasste sie.
Die Flamme eines Drachen ist die Mutter allen Feuers, so wie der Gulvar Herr über Tod und Dunkelheit ist. Im Verborgenen liegt, was das finstre Herz begehrt. Denk daran, Enna aus Westendtal! Klar und hell erklang die Stimme der Himmelskreatur in Ennas Kopf.
Enna nickte langsam, aber da kam ein Wind auf, der die Nebelschleier vor das Drachenhaupt wehte und ihr die Sicht nahm. Der Wind wurde stärker und stärker, blies schließlich die Asche davon und zerrte an Ennas Umhang. In diesem Moment schnellte sie hoch und erwachte. Ihr Blick fiel auf Jorim, dessen Decke ihm vom Wind gerade ins Gesicht geweht wurde.
Etwas warf sich auf Jorim, bedeckte sein Gesicht und nahm ihm die Luft zum Atmen. Hektisch fuhr er hoch, schlug und trat um sich, doch es war nur seine klamme Decke, die ihm eine heftige Bö ins Gesicht geweht hatte. Er rieb sich die Augen und blinzelte hinauf zum Himmel: Ein grauer Morgen erwartete die Halblinge. Zudem hatte der starke Wind dichte Wolken mit sich gebracht und der im Freien nächtigenden Gruppe Regen beschert. Erleichtert stellte Jorim allerdings fest, dass am westlichen Horizont ein verheißungsvolles Blau zu sehen war, und jetzt, da sie Bronn Sternenfaust gefunden hatten, wurde die Aussicht, zurück nach Westendtal zu gehen, dadurch nur umso verlockender.
»Der Regen wird sicher bald nachlassen, meine Wange juckt«, hörte Jorim Rimen Dornenschlag sagen. Der Halbling kratzte sich wieder die Narbe, und Jorim musste über diese Geste, die ihm
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