Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
gefunden«, erinnerte Talegrin Westwind ihn. »Du weißt, einst zählten wir fünfzig, nun sind wir nur noch fünf.«
»Vielleicht wären auch wir fünf jetzt tot, hätten wir unseren Weg in die Suravan-Berge fortgesetzt«, sagte Ambrin laut.
»Dessen bin ich mir inzwischen sogar sicher«, meinte Bronn.
Enna schüttelte resigniert den Kopf. »Elgo der Säufer war mir lieber. Der war wenigstens nicht so mürrisch.« Sie warf einen kleinen Ast nach Bronn, der ihn erstaunlich geschickt mit der Hand zur Seite fegte. »Westendtal ist verloren«, sagte sie leise und blickte bekümmert zu Boden. »So viel Bitterkeit und Hoffnungslosigkeit! Unsere Feinde könnten sich keine bessere Ausgangslage für eine Invasion wünschen.«
»Wenn Westendtal eine solche Gefahr droht«, überlegte Talegrin laut und legte einen Finger an seine Nasenspitze, »sind wir besser damit beraten, heimzukehren und unser Land zu verteidigen, als unsere Zeit in diesem tödlichen Gebiet hinter den Suravan-Bergen zu vergeuden.«
»Womöglich ist bereits eine Armee von Erinyen und Ghulen auf dem Weg nach Westendtal«, mutmaßte Ambrin, doch Jorim schüttelte den Kopf.
»Gleich nachdem Erinyen in Westendtal gesehen wurden und die Lage auskundschafteten, sind wir losgezogen. Ich bezweifle, dass ein ganzes Heer bereits nach Westendtal aufgebrochen ist. Zudem müssen erst die Ghule aus Barantor nach Norden marschieren, um sich den Erinyen anzuschließen. Es wird dauern, bis eine solche Armee die Vergessenen Täler erreicht und durchwandert hat. Bestimmt bleibt uns noch Zeit.«
»Zeit wofür?«, fragte Enna. »Um die Veranda deines Baumhauses zu reparieren? Oder um Heldenlieder in den Tavernen zu trällern? Das wird nicht reichen. Wir müssen mehr tun!«
Enna war wütend. Abrupt erhob sie sich und funkelte Jorim und die anderen an.
»Aber das weiß ich doch«, entgegnete Jorim beschwichtigend. »Je früher wir wieder zu Hause sind, desto mehr Zeit bleibt uns, um Westendtal auf den Angriff vorzubereiten.«
»Gerade von dir hätte ich mehr Verwegenheit erwartet«, stieß Enna hervor. »Warst du es nicht, der sagte, manchmal findet man nicht, wonach man sucht, doch es mag einem ungleich Besseres widerfahren?« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Waren das nicht deine Worte gewesen?«
»Ja«, entgegnete Jorim, »und wir haben doch auch gefunden, wonach wir suchten. Nämlich Bronn und seine Gefährten.«
»Und du glaubst, das ist genug?«
Jorim runzelte die Stirn. »Ich hätte von dir etwas mehr Besonnenheit erwartet, Enna. Es ist doch vernünftiger heimzukehren, als in diesen gefährlichen Bergen umherzuirren. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was uns dort erwartet.«
»Ich auch nicht«, zischte Enna. »Aber ich würde es zumindest versuchen. Die Drachen könnten unsere Rettung sein! Vielleicht würden sie uns helfen, um das Gleichgewicht der Welt zu bewahren!«
Kurz überlegte sie, ob sie von ihrem Traum erzählen sollte, doch im Moment war sie zu wütend. Zornig schüttelte Enna den Kopf, winkte ab und stapfte davon. Sie konnte nahezu fühlen, wie Jorim ihr verwundert hinterher sah.
Eigentlich wusste Enna selbst nicht so genau, weswegen sie so ungehalten war. Sicher – und da hatte Jorim recht – wäre es vernünftiger, zurückzukehren, anstatt eine Reise in ein Land voller Gefahren und mit ungewissem Ausgang anzutreten. Irgendwie hatte sie aber das Gefühl, dass es sich ihre Freunde zu einfach machten. Sie waren ausgezogen, um Bronn zu finden, und nun hatten sie ihn gefunden. Doch von dem Helden, den sie selbst erwartet hatte, war er weit entfernt. Was konnte Bronn also tun, das sie selbst, Jorim, Elvor oder einer der anderen Halblinge nicht ebenso vollbringen könnte? Natürlich hatte auch sie den alten Bronn suchen wollen, doch wenn sie ehrlich zu sich war, hatte sie immer geahnt, dass die Hoffnung, Bronn könnte sie alle retten, nur ein kleiner Lichtschimmer an einem dunklen Horizont gewesen war. Wahrscheinlich hatten Nespur und so manch anderer Halbling genauso gedacht.
Jetzt wollte Enna weiterziehen. Eine Art innere Rastlosigkeit trieb sie an, und diese wurde durch den Traum von dem Drachen nur noch verstärkt. Sie schlenderte weiter, bis sie einige Sträucher mit wilden Erdbeeren erreichte. Sie ließ sich nieder, und während sie die Sträucher ihrer Früchte beraubte, spähte sie nach Südosten, wo sich die Suravan-Berge wie eine graue Wand erhoben. Der süße Geschmack der Erdbeeren auf ihrer Zunge hatte eine durchaus
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