Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
die Theke hinweg und schüttelte den Kopf.
»Wurdest wohl von einem solchen Stiefel in die Hinterbacken getreten«, gluckste Elvor, was zu allgemeinem Gelächter führte, von Jorim, Enna, Jul und Ombur abgesehen.
»Er meint die Erinyen von Myrador, ein boshaftes Frauenvolk, bei dem Männer nichts zu sagen haben!«
Augenblicklich trat Stille ein. Alle Blicke wanderten zum Kamin, wo nur noch kleine Flammen in der rot pulsierenden Glut loderten. Daneben saß Nespur Fährtenauge, ein äußerst kundiger Spurenleser, der bereits viel umhergereist war. Langsam legte er noch zwei Scheite Holz nach und wartete, bis die Flammen sich darum schlossen. Obwohl Nespur bereits einhundertfünf Sommer zählte, war sein Haar immer noch tiefschwarz und wallend. Nicht ein einziges graues Haar war darin zu sehen. Über dem linken Auge trug er eine Augenklappe aus dunklem Leder. Hose und Hemd waren so schwarz wie sein Haar, ebenso die dicke Lederweste, die er trug. Jorim kannte ihn nicht anders. Waren die meisten Halblinge bestenfalls mit Harke, Rechen oder einem Dreschflegel bewaffnet, so zierten Nespurs Gürtel stets zwei lange Dolche. Nespur redete nicht viel, doch wenn er es tat, schwiegen alle voller Ehrfurcht.
»Aber die Erinyen sind ein aussterbendes Volk, das weiß doch jeder«, brach Ludor das Schweigen.
»Dennoch habe ich die Spuren gesehen«, sagte Jul, schwieg aber schnell wieder, als er damit die Aufmerksamkeit einiger auf sich zog.
»Das ist doch alles Unsinn!«, rief nun Rimbor dazwischen. »Schatten, Stiefelabdrücke, Erinyen. Trinkt lieber und lasst die Welt dort draußen, wo sie ist, nämlich weit weg von Westendtal!«
Zustimmendes Gemurmel ertönte, und der ein oder andere Tavernenbesucher kam Rimbors Aufforderung nach und leerte seinen Krug. Jorim schüttelte den Kopf, Enna schnaubte verächtlich und Jul zuckte hilflos mit den Schultern.
»Lasst es gut sein«, brummte Ombur und tätschelte beruhigend Jorims Schulter.
»Narren«, krächzte Vern. »Sie kennen nicht die Dunklen, die im Süden leben. Borkendreck und Pfeifenasche, sag ich nur.«
»Auch ich habe die Spuren gesehen!« Abermals kehrte Stille ein. Nespur Fährtenauge stand auf und trat langsam näher. Die Flammen hatten sich nun in das Holz gefressen und ihr Knistern erfüllte den Raum. »Am Westufer des Erenin bin ich auf eine Fährte gestoßen.« Sein ausgestreckter Arm wies in die Richtung, in welcher der Erenin gemächlich an Flusstal vorüberströmte. »Ich folgte ihr bis nach Hügelwald, dann zog ich weiter zur Gräsernen Furt. Ob es Erinyen waren, kann ich nicht sagen, doch die Abdrücke sahen so aus, wie Jul sie beschrieben hat.« Nespur hob einen Finger und sein Blick wanderte abschätzend über die Halblinge. »Das ist die Wahrheit, und keiner sollte an meinen Worten, denen von Jul oder an denen des Borkenfeuers zweifeln.«
Das tat auch niemand mehr – zumindest nicht laut. Nespur wartete einen Moment, dann trank er aus und verließ ohne ein weiteres Wort die Taverne.
Betretenes Schweigen breitete sich aus, unsichere Blicke wurden getauscht. Doch nur für eine kurze Weile.
»In einem Schwall!«, unterbrach Elvor die Stille. »In einem Schwall«, ertönte es, und das fröhliche Trinken und Beisammensein wurde fortgesetzt. Dennoch entging Jorim nicht, dass der ein oder andere Halbling nun ein klein wenig nachdenklicher an seinem Bier nippte.
Auch er und Enna leerten schließlich ihre Krüge, verabschiedeten sich und machten sich auf den Heimweg.
3. VERÄNDERUNGEN
Eine sternenklare Nacht erwartete die beiden, als sie vor die Tür traten. Jorim sog die Luft ein, und als er ausatmete, konnte er seinen Atem deutlich sehen. Die Nacht war kalt, ein leiser Wind brachte die Birkenblätter zum Rascheln, und das Mondlicht ließ die Stämme der Birken ebenso silbrig schimmern wie die vielen Flüsse in Flusstal, die man von dieser Anhöhe aus sehen konnte. Wie feine, silberne Adern durchzogen sie die schwarze Nacht und speisten den Bezirk Flusstal mit ihrem Leben spendenden Nass.
Ennas Häuschen lag nicht allzu weit von Jorims Baumhaus entfernt, und von Rimbors Taverne aus konnten sie ohnehin denselben Weg nehmen. So zogen sie gemeinsam los und ließen die Lichter des Gasthauses hinter sich.
»Ich wüsste gerne, was die gute Selda als Vorsitzende unseres Trinktisches davon halten würde«, meinte Jorim, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergegangen waren. Er dachte an ihren Platz, der heute am Stammtisch, gleich an der Eingangstür
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