Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
verzog sich erst, als bereits der Abend nahte. Zwar waren sie heute nicht weit gekommen, dennoch beschlossen sie, nicht mehr weiterzugehen und hier ihr Nachtlager aufzuschlagen. Glücklicherweise war noch ein wenig Fisch übrig, und außerdem hatten sie unterwegs Beeren und Haselnüsse gesammelt, sodass ihre Mägen nicht allzu sehr knurrten.
Gleich nach dem Essen suchte sich jeder ein ruhiges Plätzchen für die Nacht. Da sie während der letzten Nacht kaum geschlafen hatten – immerhin waren sie von der Flucht völlig aufgedreht gewesen und hatten die wahre Identität von Elgo, dem Säufer, erfahren –, wurden sie nun von einer bleiernen Müdigkeit übermannt.
Nur Jorim hing noch seinen Gedanken an die Suravan-Berge nach. Er blickte zu Enna hinüber und überlegte, ob er zu ihr gehen und noch einmal mit ihr reden sollte. Einerseits sehnte er sich danach, nach Hause zu ziehen und bei den Vorbereitungen der Verteidigung von Westendtal zu helfen. Andererseits jedoch begannen auch an ihm mittlerweile Zweifel zu nagen, ob Bronns dezimierte Truppe Westendtal wirklich würde retten können.
Außerdem musste Jorim sich eingestehen, dass der Gedanke, hinter die Suravan-Berge zu ziehen, allmählich einen gewissen Reiz auf ihn ausübte. Am Ende entschied er, die Angelegenheit für den Augenblick auf sich beruhen zu lassen und gleich am nächsten Morgen mit Enna darüber zu sprechen.
Viel weiter westlich des Lagers der Halblinge stand Hanafehl, der Fürst der Ghule, auf einer kleinen Anhöhe und starrte nach Nord-Osten. Obwohl es dunkel war, konnte er die Zinnen einiger Türme von Arboron – das Zervana in ihrer Arroganz nun Zervanador nannte – deutlich erkennen. Das Gewitter war abgezogen, aber noch immer erhellte ein Wetterleuchten den nächtlichen Himmel und gewährte ihm zeitweise einen Blick auf die Stadt. Leise wiegte der Wind die Gräser, und der Duft von Wildblumen stach unangenehm in Hanafehls Nase. Er hasste die klare Luft, die sich nach einem Frühlingsgewitter gewöhnlich breitmachte. Viel besser gefielen ihm da schon die Ausdünstungen der Ghul-Armee, die hinter ihm lagerte. Metallisch, süßlich – der Geruch von Blut gemischt mit Schweiß.
Mehr als zehntausend seiner Art warteten darauf, den Rest des Weges nach Arboron zurückzulegen. Tatsächlich wäre ein solcher Marsch in dieser Nacht möglich gewesen, doch das würde bedeuten, schon am Morgen des achten Tages in Arboron einzutreffen, so wie Zervana es den überlebenden Boten hatte übermitteln lassen. Zwei Boten hatte Hanafehl ausgesandt, bloß einer war zurückgekehrt: mit abgeschlagener Hand, den Kopf der Erinya, die den anderen Ghul angeblich ermordet hatte, mit sich tragend.
Ganz sicher ging die Herrscherin der Erinyen nicht davon aus, dass Hanafehl in seinem Zorn nun tun würde, was sie von ihm verlangte. Doch genau dies war sein Ansinnen. Er wusste sehr wohl, dass der Tod und die Verstümmelung seiner Kundschafter Zervanas Werk war, doch würde er sich davon nicht provozieren lassen. Die beiden Ghule waren ohnehin entbehrlich gewesen. Nein, er würde am achten Tag vor den Toren Arborons stehen, denn genau damit rechnete die verruchte Erinya bestimmt nicht. Aber natürlich würde er nicht am Morgen erscheinen, sondern zu ihrem Ärger in der Nacht. Hanafehl wandte sich um, und seine Nasenflügel weiteten sich, als er zufrieden den schweren Duft seines Heeres einatmete.
Es war dieselbe Nacht und dieselbe Brise, die über die hohen Zinnen von Zervanador strich und fast schon behutsam durch die schwarzen Haare der Erinya fuhr. Zervana blickte über die nächtliche Stadt. Vielerorts glommen Fackeln auf, wo einst die Lichter der Menschen Häuser und Straßen erhellt hatten. Irgendwo jaulte ein Hund, und drang der Ruf eines Käuzchens an ihre Ohren.
Lautlos schwebte ein Schatten herbei, doch wandte sie sich ihm nicht zu.
»Yorak«, sagte sie leise. »Du nimmst deine Aufgabe sehr ernst. Manchmal sogar zu ernst, für meinen Geschmack.«
»›Umgib mich wie die Glut den Kraterfels, aus dem unsere Fackeln gemacht sind, sei tödlich wie die Geißel, wenn nötig.‹ Dies habt Ihr mir einst aufgetragen, Usurpatorin.«
Yorak trat neben Zervana, und seine dunklen Augen fixierten sie.
»Ich habe meine Worte nicht vergessen. Doch allein zu sein, ist ein Privileg, das ich mir hin und wieder leiste.«
»Ist es das, was Ihr wollt?«
Zervana blickte Yorak an, achtete aber darauf, ihre Verwunderung zu verbergen.
»Ist es das, was Ihr wirklich wollt?«,
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