Der Kampf des Geisterjaegers
wahrheitsgetreu beantworten. Wenn du Tat wählst, musst du eine Aufgabe erfüllen. Bei Kuss musst du küssen, wen oder was wir dir zeigen - daran führt kein Weg vorbei. Versprechen ist am schwersten. Du musst eines machen und dann bist du daran gebunden - und möglicherweise für immer!«
»Nein, ich will nicht mitspielen«, wiederholte ich.
»Sei nicht dumm. Du hast sowieso keine andere Wahl, oder? Du kannst hier nicht weg, bis wir es dir erlauben. Du bist hier festgebannt - ist dir das noch nicht aufgefallen?«
Ich wurde immer zorniger. Mir schien es, als habe Mab von Anfang an eine Art merkwürdiges Spiel mit mir getrieben. Ich glaubte ihr keinen Moment mehr, dass wir Alice retten wollten. Was für ein Narr war ich gewesen! Warum war ich ihr nur gefolgt?
Doch als ich versuchte aufzustehen, passierte gar nichts. Es war, als hätten meinen Körper alle Kräfte verlassen. Meine Arme fielen mir kraftlos an der Seite herunter und mein Eschenstab glitt mir aus den Fingern und rollte ins Gras.
»Ohne den blöden Stab bist du sowieso viel besser dran«, fand Mab. »Du fängst an. Wähl eine der vier Möglichkeiten. Du wirst unser Spiel mitspielen, ob du willst oder nicht. Du wirst mitspielen und es wird dir gefallen. Also wähle!«
Ich hegte mittlerweile keinen Zweifel mehr daran, dass alle drei Hexen waren. Mein Stab war außer Reichweite, und ich war zu schwach, um aufzustehen. Ich hatte keine Angst, denn es erschien mir alles eher wie ein Traum, aber ich wusste, dass es keiner war und dass ich in Gefahr war. Also holte ich tief Luft und überlegte sorgfältig. Es war besser, ihnen vorerst den Gefallen zu tun. Vielleicht fand ich eine Möglichkeit, mich zu befreien, während wir uns auf das Spiel konzentrierten.
Doch welche der vier Optionen sollte ich wählen? »Tat« konnte dazu führen, dass ich irgendetwas Gefährliches tun musste. »Versprechen« war ebenfalls riskant. Ich hatte schon früher Versprechen gegeben, die mich in Schwierigkeiten gebracht hatten. »Kuss« schien harmlos zu sein. Welchen Schaden konnte schon ein Kuss anrichten? Doch dann erinnerte ich mich daran, dass sie gesagt hatte »wen oder was«, und das gefiel mir überhaupt nicht. Ich hätte dennoch beinahe diese Möglichkeit gewählt, entschied mich dann jedoch für »Wahrheit«. Ich versuchte stets, ehrlich zu sein und nicht zu lügen. Das hatte mir mein Vater beigebracht. Was konnte es also schaden, mich dafür zu entscheiden?
»Wahrheit«, sagte ich.
Daraufhin grinsten sich die Mädchen breit an, als hätten sie darauf gehofft, dass ich genau diese Wahl treffen würde.
»Gut!«, sagte Mab triumphierend und wandte sich zu mir. »Also sag mir Folgendes und sag die Wahrheit! Das solltest du lieber tun, wenn du weißt, was gut für dich ist. Es würde dir nichts nutzen, uns zu verärgern. Welche von uns magst du am liebsten?«
Erstaunt sah ich Mab an. Ich hatte keine Ahnung, was für eine Frage sie mir stellen wollten, aber das kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Und war auch nicht leicht zu beantworten. Egal, welche ich wählte, die anderen beiden würden beleidigt sein. Außerdem war ich mir gar nicht sicher, was die Wahrheit war. Ich mochte keine von ihnen. Was sollte ich also tun? Ich sagte ihnen die Wahrheit.
»Ich mag keine von euch besonders«, erklärte ich. »Ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber ihr wolltet ja die Wahrheit wissen, und die habe ich euch gesagt ...«
Die drei zischten zornig auf.
»Das reicht nicht«, meinte Mab leise und drohend. »Du musst eine von uns wählen.«
»Dann wähle ich dich, Mab. Du bist die Erste, die ich gesehen habe, also kannst du es auch sein.«
Ich hatte rein instinktiv gesprochen, ohne viel zu überlegen, aber Mab lächelte. Es war ein selbstzufriedenes Lächeln, als hätte sie von vorneherein gewusst, dass sie gewählt werden würde.
»Jetzt bin ich dran«, erklärte sie, als sie sich ihren Schwestern zuwandte. »Ich wähle ›Kuss‹.«
»Dann küss Tom!«, rief Jennet. »Küss ihn auf der Stelle und binde ihn für immer an dich!«
Daraufhin stand Mab auf und stellte sich direkt vor mich. Sie beugte sich zu mir und legte mir die Hände auf die Schultern. »Sie mich an!«, verlangte sie.
Ich fühlte mich schwach. Meine ganze Willenskraft schien von mir gewichen zu sein. Ich tat, was sie sagte: Ich blickte ihr in die grünen Augen, als sich ihr Gesicht meinem näherte. Sie war hübsch, aber ihr Atem stank wie der eines Hundes oder einer Katze. Die Welt um mich herum begann
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