Der Kampf des Geisterjaegers
kurzen Leine. Sie kann sich nicht weiter als hundert Schritt von der Stelle bewegen, an die sie gebannt wurde. Ist besser als Ketten, wenn man’s richtig macht. Aber ich kann dich nah genug an sie heranbringen, dass du sie sehen kannst ...«
»Wer war das?«, wollte ich wissen. »Wer hat sie gebannt?«
»Wer anders als die Mouldheels?«, erwiderte das Mädchen. »Halten sie für eine verräterische kleine Hexe. Das werden sie sie sicher büßen lassen.«
»Ich gehe meinen Stab holen«, erklärte ich ihr.
»Keine Zeit dafür. Keine Zeit zu verlieren. Sie steckt in ernsthaften Schwierigkeiten.«
»Warte hier«, befahl ich ihr streng. »Ich bin in ein paar Minuten zurück.«
Damit rannte ich zum Haus, holte meinen Stab, lief zu der Stelle zurück, an der das Mädchen wartete, und kletterte über die Mauer. Ich sah auf ihre Füße, nur für den Fall, dass sie spitze Schuhe trug, aber zu meiner Überraschung war sie barfuß. Sie bemerkte, wie ich sie anstarrte, und lächelte. Wenn sie das tat, sah sie wirklich hübsch aus.
»Im Sommer brauch ich keine Schuhe«, meinte sie. »Ich mag es, das warme Gras unter meinen Füßen zu spüren und die kühle Luft an meinen Knöcheln. Jedenfalls ... nenn mich Mab - so heiße ich, wenn es dich interessiert.«
Sie wandte sich um und lief schnell fort, ungefähr nach Süden auf den Pendle zu. Im Westen war es noch etwas hell, aber bald würde es vollkommen dunkel sein. Ich kannte die Gegend nicht, und es wäre wahrscheinlich gut gewesen, eine Lampe mitzunehmen. Aber meine Augen sehen in der Dunkelheit besser als die der meisten anderen Menschen, und nach etwa zehn Minuten oder so erschien der abnehmende Mond hinter den Bäumen und warf sein bleiches Licht auf die Welt.
»Wie weit noch?«, erkundigte ich mich.
»Höchstens noch zehn Minuten«, erwiderte sie.
»Das hast du schon gesagt, als wir losgegangen sind«, protestierte ich.
»Habe ich das? Dann muss ich mich wohl geirrt haben. Manchmal bringe ich das durcheinander. Wenn ich laufe, dann versinke ich ganz in meiner eigenen Welt. Die Zeit verfliegt nur so ...«
Wir gingen auf das Moor am Nordrand des Pendle zu. Erst nach weiteren dreißig Minuten erreichten wir unser Ziel - einen kleinen runden Hügel mit Bäumen und dichten Büschen an einem Waldrand. Dahinter ragte drohend der Pendle auf.
»Da oben zwischen den Bäumen«, sagte Mab, »da warten wir auf Alice.«
Beunruhigt betrachtete ich die dunklen Schatten zwischen den Bäumen. Was, wenn das eine Falle war? Das Mädchen schien sich mit Zaubersprüchen auszukennen. Sie könnte mich mit Alice’ Namen hierhergelockt haben.
»Wo ist Alice?«, fragte ich misstrauisch.
»In einer Jagdhütte gleich da oben zwischen den Bäumen. Ist im Moment zu gefährlich, näher heranzugehen. Wir warten besser hier, bis es an der Zeit ist, dass du sie sehen kannst.«
Ich war nicht glücklich über Mabs Vorschlag. Trotz der Gefahr wollte ich Alice sofort sehen, aber ich entschloss mich, geduldig zu sein.
»Geh voran«, befahl ich ihr und umfasste meinen Eschenstab fester.
Mab lächelte und verschwand im Schatten der Bäume. Vorsichtig folgte ich ihr über einen gewundenen Pfad zwischen Büschen und Brombeeren hindurch. Wachsam achtete ich auf Anzeichen von Gefahr und hielt den Stab bereit. Vor mir erkannte ich Lichter und wurde noch misstrauischer. Wartete dort etwa jemand auf uns?
Oben auf dem Hügel befand sich eine Lichtung, auf der ein paar Baumstümpfe ungefähr ein Oval ergaben. Es sah fast so aus, als wären die Bäume extra gefällt worden, damit man darauf sitzen konnte, und zu meiner Überraschung saßen auch dort zwei Mädchen, jede mit einer Laterne vor ihren Füßen. Keines davon war Alice. Beide schienen ein wenig jünger zu sein. Mit großen, offenen Augen starrten sie mich an.
»Das sind meine kleinen Schwestern«, erklärte Mab. »Die links ist Jennet, die andere heißt Beth, aber an deiner Stelle würde ich mich mit den Namen gar nicht erst abmühen. Sie sind Zwillinge und man kann sie sowieso nicht auseinanderhalten.«
Da musste ich ihr zustimmen: Ihre Haare hatten die gleiche Farbe und Länge wie die von Mab, aber da hörte die Ähnlichkeit mit ihrer großen Schwester auch schon auf. Beide waren dürr, hatten hagere Gesichter und einen stechenden Blick. Die Münder bildeten scharfe, waagerechte Schlitze in ihrem Gesicht und die schmalen Nasen waren leicht gebogen. Wie Mab trugen sie dünne, fadenscheinige Kleider und auch sie waren barfuß.
Ich fasste
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