Der Kampf des Geisterjaegers
spüren, die sie ausübte. Sie setzte Verblendung und Faszination gegen mich ein: Mab versuchte, mich ihrem Willen zu unterwerfen. Sie wollte nicht nur, dass ich die Truhen öffnete, sie wollte auch, dass ich es freiwillig und gerne tat.
Ich lächelte zurück und nahm die Schlüssel. Sie verschwendete ihre Bemühungen. Ich tat es bereits freiwillig und gerne - und würde ihr die größte Überraschung ihres Lebens bereiten.
Außer dem größten Schlüssel, der die Tür zu meinem Zimmer auf dem Hof öffnete, sahen die anderen ziemlich gleich aus. Ich musste ausprobieren, welcher passte. Mit dem zweiten Schlüssel konnte ich das Schloss mit einem Klick öffnen. Ich holte tief Luft und hob langsam den Deckel. In der Truhe lag zusammengefaltet etwas Großes. Es war in ein Stück Segeltuch gewickelt und mit einem Strick zusammengebunden. Instinktiv legte ich meine Hand darauf, ich erwartete, dass sich etwas bewegte, doch dann fiel mir wieder ein, dass das Wesen schlafen würde, bis es von einem Mondstrahl berührt wurde.
»Hier ist etwas Großes drin, Mab«, sagte ich. »Ich brauche Hilfe, um es herauszuholen. Aber ich öffne zuvor noch die andere Truhe, um nachzusehen, was da drin ist.«
Ohne abzuwarten, ob Mab zustimmte oder nicht, versuchte ich bereits, die zweite Truhe zu öffnen. Wenn es tatsächlich wilde Lamias waren, dann war eine von ihnen wahrscheinlich genug, um mit den Mouldheels fertig zu werden, aber ich wollte, dass beide wach waren, um ganz sicher zu sein. Also hob ich auch den zweiten Deckel.
»Hier ist das Gleiche drin. Lass es uns mal herausnehmen ...«
Mab schien unsicher, aber Beth bückte sich eifrig und gemeinsam hoben wir das lange schwere Bündel aus der Truhe und legten es auf die Fliesen. Ausgestreckt war es etwa eineinhalb Mal so lang wie mein eigener Körper. Jennet half mir mit dem zweiten Bündel, um nicht zurückzustehen. Dann lächelte ich Mab an.
»Schneid die Stricke durch, Jennet.«
Jennet zog ihr Messer aus dem Gürtel und gehorchte. Ich begann, das Segeltuch auszuwickeln. Fast hatte ich es geschafft, als die Katastrophe eintrat:
Der Mond verschwand hinter einer Wolke!
Mab brachte die Laterne und hielt sie an meine Schulter. Mein Mut verließ mich und meine Zuversicht schwand. Ich zögerte in der Hoffnung, dass der Mond wieder hervorkommen würde. Wussten die Mouldheels, was eine Lamia war? Vielleicht hatten sie davon gehört, aber da Lamia-Hexen in unserem Land nicht heimisch waren, hatten sie vielleicht noch keine wilde Lamia gesehen. Doch wenn sie das Richtige vermuteten, dann hingen die beiden schlafenden Wesen von der Gnade der Schwestern ab. Wenn sie erst mit ihren Messern am Werk gewesen waren, würde der Kuss des Mondes zu spät kommen.
»Beeil dich, Tom«, mahnte Mab ungeduldig. »Lass uns mal sehen, was wir da haben.«
Als ich mich nicht rührte, griff sie selbst hinunter und riss das Tuch fort. Gleich darauf stieß sie einen leisen Schrei aus.
»Was ist das denn? So etwas habe ich ja noch nie gesehen!«
Ich hatte Marcia, Meg Skeltons wilder Schwester, gegenübergestanden und konnte mich noch gut an ihr grausames Gesicht, weiß und aufgetrieben, erinnern, und das Blut, das ihr über das Kinn lief. Ich erinnerte mich auch noch an das lange, fettige Haar, den schuppigen Rücken und die vier Gliedmaßen, die in scharfen Klauen endeten. Dieses Wesen hier war größer als Marcia. Ich war mir ziemlich sicher, dass es eine wilde Lamia war, aber nicht von der Art, die nur über den Boden huscht. Sie gehörte zu einer anderen Sorte, der, die ein kurzes Stück fliegen konnte. Sie hatte schwarze Flügel mit Federn auf dem Rücken und auch auf dem Oberkörper waren kurze Federn.
Außerdem hatte sie vier Gliedmaßen: die schwereren unteren hatten scharfe, tödliche Klauen, die oberen dagegen waren mehr geformt wie menschliche Arme mit zarten Händen und Nägeln, die nicht länger waren als die einer Frau. Das Wesen lag auf dem Bauch, aber der Kopf war zur Seite gedreht, sodass das halbe Gesicht sichtbar war. Das sichtbare Auge war geschlossen, aber das Augenlid war nicht so schwer wie das von Marcia. Mir schien eher, dass das Gesicht hübsch war, von einer wilden Schönheit, auch wenn der Mund mehr als nur ein wenig grausam schien.
Der Unterkörper der Kreatur war mit schwarzen Schuppen bedeckt, die in einer haarfeinen Spitze endeten. Das Ganze ließ mich an ein Insekt denken.
Wie bereits erwähnt, lagen die schwarzen Flügel an den Rücken gefaltet, und wo sie
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