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Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Bescheid wussten, war wirklich Eile vonnöten. Die beiden Luds, Ringmann und Martin Waldseemüller rechneten fest damit, dass diese Neuigkeit auch zu jenen
durchdringen würde, die ihnen in dieser Sache Konkurrenz
machen konnten. Sie waren inzwischen felsenfest davon überzeugt, dass es in Saint-Dié einen Spion geben musste. Sie ahnten jedoch nicht, dass diese Nachricht auch einen gefährlichen
Gegner weitab des Vogesenfleckens zum Handeln zwang. Herzog René II. von Lothringen ließ sich über den Fortgang
genauestens unterrichten. Ihm war klar, dass sich der Druck der
Karte nicht mehr aufhalten ließ. Er beschloss, das Beste daraus
zu machen. So gab er seinen Beitrag zu den Kosten zur Einrichtung der Druckerei – natürlich mit Option auf einen Anteil der
Erträge – und die Order, dass er informiert werden wolle, bevor
das große neue Werk in Druck ging. Er plane, dabei zu sein,
wenn die Druckerei in Saint-Dié ihre Arbeit aufnahm.
    Martin Waldseemüller rieb sich die Augen. Sie brannten. Er konnte fast nichts mehr erkennen. Die Tage waren immer kürzer geworden, dafür die Nächte bei Kerzenschein immer länger. Und er war nun auch nicht mehr so jung, als dass dies nichts ausmachte. Die Hand, in der er das Schnitzmesser hielt, schmerzte. Der Dezembernebel hatte sich etwas gelichtet, die Sonne schien durch die Wolkenfetzen und sorgte mit ihrem Spiel von Licht und Schatten dafür, dass die schlafende Natur unter der Schneedecke etwas belebter wirkte. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als ebenfalls einmal wieder richtig schlafen zu können. Tagelang. Er war inzwischen an seinen Arbeitsplatz in der neuen Druckerei umgezogen. So konnte jedermann, der an der Karte und den Globensegmenten mitarbeitete, ihn direkt fragen, wenn es etwas zu klären gab.
    Er stand auf und stöhnte leicht. Sein Rücken schmerzte vom langen Sitzen, sein Nacken von der gebeugten Haltung, in der er Stunde um Stunde über seiner Arbeit saß. Er dachte an Sisyphos, den Zeus, der Göttervater der Griechen, dazu verdammt hatte, in der Unterwelt, dem Hades, immer wieder aufs Neue einen schweren Felsbrocken einen Berg hinaufzurollen. Für immer und ewig. Denn er hatte dem Willen von Zeus getrotzt und Thanatos, den Tod, überwältigt. Erst nachdem Ares, der Kriegsgott, ihn befreit hatte, konnte der Tod wieder seines Amtes walten. Martin Waldseemüller musste lächeln. Nun, er hatte den Tod nicht überwältigt, trotzdem kam er sich vor wie der Mann mit dem Stein. Wie hieß es noch in der Odyssee Homers:
    «Und den Sisyphus sah ich, von schrecklicher Mühe gefoltert,
Einen schweren Marmor, mit großer Gewalt fortheben.
Angestemmt arbeitet‘ er stark mit Händen und Füßen,
Ihn von der Au aufwälzend zum Berge. Doch glaubt‘ er ihn jetzo
Auf den Gipfel zu drehen, da mit einmal stürzte die Last um;
Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor.»
    Er legte das Schnitzmesser beiseite. Er musste sich jetzt einfach einmal bewegen. Matthias Ringmann, der gerade mit Jacobi und Gauthier Lud das Aussehen der Introductio besprach, schaute zu ihm hinüber. «Warte, wie es scheint, willst du dich ein wenig bei einem Spaziergang erholen. Ich komme mit.» Ein Hustenanfall folgte diesen Worten. «Ich brauche frische Luft», fügte Ringmann an.
    «Die klamme Feuchtigkeit könnte Euch schaden, Philesius. Wir brauchen Euch noch. Der gesamte Ptolemäus ist noch zu übersetzen», wandte Gauthier Lud ein.
    «Erst müsst Ihr das Manuskript einmal haben. Ich werde meinen Wollumhang nehmen, es schneit gerade nicht», erwiderte Ringmann noch immer keuchend. «Bis der Ptolemäus hier eintrifft, halte ich schon noch durch. Macht Euch keine Sorgen.»
    Ringmann wischte sich den Schweiß von der Stirn. Diese schrecklichen Hustenanfälle strengten ihn mehr und mehr an. Seine Augen glänzten fiebrig.
    Martin Waldseemüller war noch immer nicht gerne mit Matthias Ringmann allein. Sie konnten einfach nicht mehr so unbefangen über alles plaudern wie vor der Sache mit Marie. Nein, nur nicht daran denken.
    Die beiden Männer wechselten einen Blick – Ringmann begriff sehr wohl, was in Ilacomylus vorging. Keine Frau war das wert. Keine, dachte er erneut.
    Er lächelte dem Mann zu, mit dem ihn so viel verband. «Komm, mein Freund, lass uns einfach gehen, für eine kurze Zeit Luft schöpfen und über nichts nachdenken, über nichts reden. Einfach nur gehen.»
    Martin Waldseemüller lächelte zurück. Der um so viel jüngere Ringmann war manches Mal doch um so viel

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