Der Kartograph
das?», erkundigte sich der Arzt. «Wer sollte ein Interesse daran haben. Heißt das – wollt Ihr damit sagen, dieser Mordanschlag hatte etwas mit der Karte zu tun?»
«Oh nein, sicher nicht», erklärte Martin Waldseemüller, ehe jemand anders im Raum etwas sagen konnte.
Wieder wurde es still. Der Arzt schaute von einem zum anderen, schien etwas sagen zu wollen, entschied sich aber dann anders. «Nun, also, dann werde ich jetzt gehen. Ihr seid verbunden. Ich lasse Euch noch ein Fläschchen mit einem Kräutersud gegen die Schmerzen und eine Salbe da. Denkt daran, Ihr braucht jetzt dringend Ruhe.»
Niemand antwortete.
«Ja, gut. Also, dann werde ich Euch jetzt verlassen.»
Er stapfte zur Türe. «Danke für Eure Hilfe», rief Martin Waldseemüller ihm noch nach. Doch da hatte sich die Türe bereits wieder geschlossen.
«Puh, das ist eine furchtbare Situation», stellte Nicolas Lud fest. «Ich will mir immer noch nicht so richtig vorstellen, dass dies alles etwas mit der Weltkarte zu tun hat, die wir planen.»
Ringmann wiedersprach. «Wir können den Kopf nicht in den Sand stecken. Es ist doch inzwischen völlig offensichtlich. Oder kennt Ihr einen Menschen, der in so kurzer Zeit so viele Unbilden zu bewältigen hatte wie unser Ilacomylus hier? Und wenn man sich dann noch überlegt, wann diese Serie von Anschlägen begonnen hat, dann kann man überhaupt zu keinem anderen Schluss mehr kommen. Alles fing an, nachdem er in einem Schreiben um ein Treffen mit Amerigo Vespucci gebeten hatte. Eine solche Verkettung von Zufällen gibt es einfach nicht. Im Umkehrschluss heißt das, unser Freund hier ist in akuter Lebensgefahr, bis die Karte erschienen ist.»
«Aber warum? Nur, um uns zuvorzukommen? Nur wegen eines Geschäftes?»
Martin Waldseemüller meldete sich zu Wort. «Nein, da ist noch etwas anderes. Es muss noch ein Geheimnis existieren. Eines, das mit Vespuccis Reisen zusammenhängt und das Amerigo Vespucci sowie alle, die daraus Nutzen ziehen könnten, mit allen Mitteln hüten wollen», erklärte er leise. «Ich bin erst viel später darauf gekommen. Und irgend jemand hat offensichtlich große Angst, ich könnte es entdecken.»
Alle wandten sich ihm zu. «Was könnte das sein», erkundigte sich Gauthier Lud.
Waldseemüller versuchte, sich aufzurichten, sank dann aber erneut mit einem Stöhnen zurück, das ihm der Schmerz im Schenkel und seine Schwäche entlockt hatten. «Ich weiß es nicht ganz genau», erklärte er dann. «Ich kann es nicht beweisen, nicht genau eingrenzen. Deswegen habe ich bisher über manche meiner Vermutungen geschwiegen, obwohl ich mich gerne mit Euch darüber ausgetauscht hätte.
Meiner Überzeugung nach geht es dabei um mehrere Aspekte. Mit Sicherheit wollen jene, die Vespucci die Mittel für seine Reisen zur Verfügung gestellt haben, gewisse Ergebnisse seiner Erkundungsfahrten unter Verschluss halten. Das hat Contessina de’ Medici mehr als deutlich gemacht. Das Wissen um den besten Seeweg nach Westen ist wichtig, nicht nur des besseren Handels wegen, sondern auch wegen der Reichtümer, die die neuen Territorien erwarten lassen. Sobald alle Zugriff auf dieses Wissen und die dazugehörigen nautischen Daten haben, sind sämtliche Vorteile dahin, die jene haben, die sich besser auskennen. Ich denke, es ist den Besitzenden und Mächtigen nicht recht, dass ihr Wissensvorsprung Allgemeingut wird. Egal, ob es nun die Medici sind, Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien oder Manuel von Portugal.
Philesius spann den Gedanken weiter. «Wissen ist bekanntlich Macht. Es hilft, andere hinters Licht zu führen, zu manipulieren. Vielleicht streben ja selbst wir, die wir den Wissenschaften dienen, nach einer Form von Macht, danach, uns von anderen abzuheben, etwas Besonderes zu sein. Oder einfach nach der Freiheit des Geistes, die dieser Weg am Ende für den Suchenden bereithält. Möglicherweise ist diese Freiheit aber eine Chimäre, meine Freunde, sie ähnelt vielleicht Chimeira, diesem feuerspeienden Ungeheuer der griechischen Mythologie mit den drei Köpfen, teils Löwe, teils Ziege, teils Schlange. Möglicherweise warten hinter einer beantworteten Frage noch tausend andere.»
Martin Waldseemüller nickte. «Ja, ich denke, das ist ein Teil davon. Mit Sicherheit gibt es hinter diesen neu entdeckten Territorien noch weiteres Land, es gibt noch ein weiteres Meer. Zumindest, wenn man davon ausgeht, dass die Terra incognita ein vierter Erdteil ist. Und darüber sind wir uns hier inzwischen doch
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