Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kartograph

Der Kartograph

Titel: Der Kartograph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
Vom Netzwerk:
Inzwischen betrachtete der Pfarrer die Druckerpresse als seine ganz persönliche Widersacherin und beschimpfte sie wie eine unbotmäßige Ehefrau.
    Martin Waldseemüller seufzte. Er wusste, er musste hier in diesem Raum arbeiten und durfte nicht in seine stille Kammer zurück. Jeder sollte sehen, dass er an einer Seekarte mit einer teilweisen Übersicht über die westliche Hemisphäre arbeitete. Der Südosten Americas schob sich ungeschlacht und grob wie ein an den Kanten ausgefranster Holzklotz vom linken Kartenrand aus über den Atlantik der Einbuchtung des afrikanischen Schädels entgegen. Er hatte große Zweifel, ob die Dimensionen stimmten. Sein Blick schweifte zur Türe. Dort stand ein grimmig dreinschauender Minenarbeiter, die muskulösen Arme vor seinem Bauch verschränkt. Sein Leibwächter.
    Philesius hatte den Blick bemerkt und lächelte ihm ermutigend zu. «Dir ist klar, dass du besser hier bleibst, Ilacomylus. Wir lassen dich nicht mehr aus den Augen, Herr Kartograph, bis das Werk vollendet ist.»
    Martin Waldseemüller erwiderte das Lächeln des Freundes mehr schlecht als recht. Er brauchte Ruhe. Schließlich arbeitete er nicht nur sichtbar und öffentlich an dieser Seekarte. In seiner Kammer nahm heimlich auch die monumentale Weltkarte immer mehr Konturen an. Jeden Nachmittag zog er sich nun wieder zurück – mit der Erklärung, seine Beinwunde habe sich entzündet, er brauche Ruhe.
    Noch immer war er sich unsicher bezüglich einer der grundlegenden Entscheidungen für die Weltkarte. Gab es nun eine Verbindung zwischen dem Land nördlich des Äquators und jenem im Süden? Seine Unterlagen reichten einfach nicht aus. Wieder dachte er daran, wie wichtig es doch wäre, Amerigo Vespucci selbst zu begegnen. Die letzte Begegnung mit Contessina de’ Medici hatte diese Hoffnung fast ganz zerstört. Und dennoch – vielleicht hatte es den großen Seefahrer seinem Anliegen geneigter gestimmt, dass der Kartograph in Saint-Dié plante, dem neuen Erdteil seinen Namen zu geben. Auch bedeutende Leute waren an ihrer Eitelkeit zu packen. Vor allem bedeutende Leute.
    Doch es kam keinerlei Nachricht aus Florenz – oder wo immer sich Vespucci im Moment aufhalten mochte. Er konnte die endgültige Entscheidung nicht mehr lange hinauszögern, auch wenn zuerst die Seekarte in Druck gehen sollte. Die Introductio Ringmanns war bereits weit gediehen, während er die entscheidenden Druckstöcke noch zu schnitzen hatte.
    Allerdings war Ringmann im Moment fast ebenso weit vom Druck seiner Einführung entfernt wie er selbst vom Druck der Karte und der Globensegmente. Es war wie verhext. Nichts stimmte. Die mitgelieferten Lettern hatte sich als unbrauchbar erwiesen, sie waren bereits zu abgenutzt. Wer auch immer sie hergestellt hatte, hatte beim Gießen am Zinn gespart. Mit diesen Lettern wäre das Schriftbild ebenfalls verschmiert und fast unleserlich geworden. Außerdem waren es gothische Buchstaben. Bastarda wurde die Schrift genannt. Sie war alten Handschriften nachempfunden. Doch Gauthier Lud wollte eine von diesen modernen Schriften. Sie entschieden sich für die Antiqua.
    Die Runde in Saint-Dié hatte sich nur schweren Herzens dazu durchgerungen, neue Lettern zu gießen. Es kostete erneut wertvolle Zeit. Philesius hatte einen genauen Plan aufgestellt, wie viele Lettern und Satzzeichen für die Introductio notwendig waren. Auch die Beschriftungen der Orte auf der Seekarte sollten mit beweglichen Lettern gedruckt werden.
    Was das Gießen der Lettern anbetraf, so war Pierre Jacobi darin wohl bewandert. Er schien sich einfach überall auszukennen. Er wusste um die richtige Mischung von Blei, Antimon und Zinn. Er hatte den Dorfschmied, die Silberschmiede im Tal von Galilée und einige handwerklich geschickte Arbeiter der Silbermine in die Bearbeitung der Stempel, der Matrix und des Gießens eingewiesen. Auch die Druckerfarbe musste neu gemischt werden. Dazu wurde Firnis aus Leinöl angesetzt. Das Bindemittel wurde dafür unter Zusatz von Mastix so lange gekocht, bis es zähe Fäden zog. Wegen der Brandgefahr hatte das trotz der eisigen Kälte außerhalb der Stadtmauern von SaintDié geschehen müssen. Und der Ruß, das so genannte Lampenschwarz, das nach dem Verbrennen der harzigen Hölzer und des Öls gewonnen worden war, wurde gerade geröstet. Damit sollten dem Ruß die fettigen Harzrückstände entzogen werden, bevor man ihn mit dem Firnis vermischte. Das war entscheidend für die Qualität der Farbe.
    Alle in Saint-Dié

Weitere Kostenlose Bücher