Der Kartograph
einigermaßen stabile Lage im Herzogtum Lothringen gewesen, das immer wieder zum Zankapfel zwischen Burgund und Frankreich geworden war. Damit unterstand das Erbe des Hauses Anjou jetzt der Herrschaft Ludwigs XII., einst Ludwig von Orléans aus dem Hause Valois. Lothringen selbst war nominell Teil des Heiligen Römischen Reiches, auch wenn dort französisch gesprochen wurde und nicht deutsch.
Und nun war der Herzog von Lothringen ein Mann, der aufgrund des Zusammenschmelzens seiner Hausmacht über genügend Zeit verfügte, um sich ausgiebig den eigenen Interessen zu widmen. Er hatte eine beachtliche Zahl junger Universitätsabsolventen um sich versammelt. Sie kamen aus Frankreich, aber auch aus dem Elsass, aus Basel, aus dem Heiligen Römischen Reich. René war stolz darauf, dass es ihm gelang, die Begabten und Gelehrten aus halb Europa zusammenzuführen.
Viele der Wissenschaftler und Künstler, nicht nur jene in Saint-Dié, hatte er mit einem Lehensbrief als Kanonikus der großen lothringischen Kirchen bedacht, die ihren Reichtum ihm verdankten – so wie Nancy, Toul, Bar-le-Duc. Der Herzog von Lothringen galt nicht ohne Grund als überaus großzügiger Fürst, kultiviert und intelligent, als ein freigebiger und aufgeschlossener Mäzen der Wissenschaften und der Künste.
Martin Waldseemüller hielt sich im Hintergrund, während der Herzog mit Gauthier Lud plauderte und ihn über die Minen und die sonstigen Angelegenheiten des Kapitels sowie des Gymnasiums Vosagense ausfragte. Er hatte dem Größeren leutselig die Hand auf die Schulter gelegt. Die Art, wie sie einander anschauten, miteinander umgingen, deutete auf gegenseitiges Vertrauen, wenn nicht sogar Freundschaft hin – zumindest soweit ein Fürst und sein Untergebener Freunde sein konnten. Sie respektierten einander.
«Und wie weit seid Ihr mit den Plänen für die Einrichtung einer Druckerei?»
Waldseemüller horchte auf. Das war ein Thema, das auch ihn brennend interessierte. «Es gibt noch viel zu tun, Euer Gnaden. Allein für die Anschaffung einer Presse und beweglicher Lettern bedarf es großer Summen. Zudem sind die notwendige Einrichtung und die richtigen Leute für eine Druckerei nicht leicht zu finden. Ich selbst bin in der Ausübung der Druckkunst zu wenig bewandert. Eigentlich hatte ich gehofft, Matthias Ringmann schnell bei Grüninger in Straßburg abwerben zu können, doch er ist momentan zu beschäftigt. Und Grüninger selbst steckt zurzeit in einigen Schwierigkeiten, weil Unbekannte versucht haben, seine Druckerei niederzubrennen. So musste ich – zumindest was diese beiden Vorhaben anbetrifft – unverrichteter Dinge wieder abreisen. Dennoch komme ich nicht unverrichteter Dinge zu Euch. Denn mit Magister Martin Waldseemüller hier, Freund und Schüler des großen Gregor Reisch und Vertrauter des Kreises um Wimpfeling, Brant und Geyeler, bringe ich Euch einen Mann, der auf wundersame Weise die Antwort auf viele unserer Nöte bildet. Es ist, als habe der Herr ihn geschickt.»
Der Herzog von Lothringen blickte interessiert zu Martin Waldseemüller hinüber, hakte dann aber zunächst einmal bei Gauthier Lud nach. «Gibt es Hinweise darauf, wer versucht hat, die Werkstatt unseres guten Meisters Grüninger zu zerstören?»
Martin Waldseemüller wunderte sich über das Interesse Renés an dieser Sache. Was scherte ihn ein Drucker in Straßburg? Es beschlich ihn das Gefühl, dass es etwas mit ihm zu tun haben könnte.
Gauthier Lud schüttelte den Kopf. «Nein, das ist eine ganz und gar rätselhafte Angelegenheit. In den Tagen zuvor hat man zwei Männer gesehen, die die Werkstatt beobachtet haben, aber sie waren bereits verschwunden, als das Feuer ausbrach. Außerdem ist glücklicherweise nicht viel geschehen. Alles Wichtige konnte gerettet werden.»
«Ach ja, wie erfreulich. Das ist schon eine seltsame Sache», erwiderte der Herzog von Lothringen gedankenverloren. Er hing noch einige Augenblicke seinen Überlegungen nach, dann wandte er sich Waldseemüller zu.
«So, Ihr seid also die Antwort des Himmels auf unsere Gebete – so scheint es jedenfalls unser guter Gauthier Lud hier zu sehen. Er schrieb mir, der Magister Waldseemüller sei nicht nur Theologe und von untadeligem Leumund, sondern auch noch Humanist, Kosmograph, Geograph, Mathematiker, ein begabter Kartograph und durch seinen Onkel Jakob, Drucker in Basel, auch noch in die Kunst des Buchdrucks eingeweiht. Darüber hinaus sollt Ihr in hohem Maße die Fähigkeit des logischen Denkens besitzen.
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