Der Kartograph
kein Versagen, wenn es um seine Interessen ging. Er würde sie niemals bei der Rückkehr unterstützen, wenn er vom Sinn ihrer Reise nicht überzeugt war. Im Gegenteil. Giovanni, der einst so lustige, unbeschwerte Giovanni, den früher nichts zu scheren schien, als in den Tag hinein zu leben, war sehr nachtragend geworden. Nun, vielleicht wurde ein Mann der Kirche so, musste so werden, um voranzukommen.
An meinen liebwerten Bruder, den erlauchten Kardinal Giovanni de’ Medici,
ich schreibe, ohne Namen zu nennen. Es ist immer möglich, dass ein solcher Brief in die falschen Hände gerät, auch wenn ich ihn einem besonders vertrauenswürdigen Boten übergebe. Der Weg von Florenz nach Rom ist weit und von vielen Gefahren gepflastert. Gedungene Räuber sind nur eine davon.
Wie geplant, traf ich mich mit einem gewissen Magister W. Er scheint ein Mann zu sein, der sich der Wichtigkeit seines Vorhabens durchaus bewusst ist, vor allem aber einer, der genau weiß, was er tut. Außerdem kam er mir vor wie jemand, der von einem Ziel nicht leicht abzubringen ist, wenn er es einmal ins Auge gefasst hat. Wohl aufgrund Deiner Intervention hat er die notwendigen Papiere und die Berechnungen von V. bisher noch nicht in der Hand, die er unbedingt benötigt, um den letzten Beweis zu führen und seine These zu untermauern, dass unser gemeinsamer Freund V. eine außerordentlich bedeutsame Entdeckung gemacht hat.
Er wird sich auch durch Geld nicht davon abhalten lassen, diese Karte zu zeichnen.
Andererseits ist er verständig genug, auch seinen eigenen Vorteil im Auge zu haben. Eine solche Karte, wie er sie plant, besonders eine carta marina, die man den Kapitänen unserer Schiffe mit auf den Weg über den Atlantik gibt, könnte für das Haus der Medici ebenfalls entscheidende Vorteile bringen – sofern sie niemand anderem in die Hände fällt. Dieser W., so mein Eindruck, ist weniger am Ruhm interessiert als daran, sein Vorhaben zu verwirklichen. Davon können die Medici profitieren, wenn es uns gelingt, einen der vortrefflichsten Kartographen dieser Zeit auf unsere Seite zu ziehen.
Es gäbe viele Gründe für ihn, sich in den Dienst des Hauses Medici zu stellen. Einmal kann er nur durch uns an die Originale der Briefe von V. sowie an dessen genaue Berechnungen herankommen. Du könntest W. sogar ein Treffen mit V. in Aussicht stellen. Das hätte für uns den Vorteil, dass die carta marina noch genauer würde – und diese Aussicht würde W. sicher dazu bewegen, unserem Vorschlag näher zu treten. Das Versprechen, die Karte auf unsere Kosten drucken zu lassen, sowie ein Salär, das seinen Lebensunterhalt sichert, könnten diese Neigung noch verstärken.
Außerdem sehe ich eine weitere Möglichkeit, ihn auf unsere Seite zu ziehen, eine, die fast immer wirkt: die Liebe. W. ist zwar ein Magister der Theologie, aber meinen Informationen nach gibt es mindestens zwei Frauen in seinem Leben. Einmal ist der Basler Drucker Johann Amerbach offenbar nicht abgeneigt, ihm seine Tochter Margarete zur Frau zu geben. Zudem soll W. eine heftige Liaison mit einer gewissen, ziemlich koketten Marie Schott gehabt haben. Ich traf sie auf meinem Empfang. Diese hat jedoch inzwischen einen anderen Ehegatten. Wie es heißt, war W. über diese Hochzeit sehr betrübt. Ich konnte bei meinem Empfang in Straßburg selbst beobachten, dass er sie kaum einen Moment aus den Augen ließ. Sie ihn übrigens auch nicht. Das verwundert mich nicht weiter, ihr Mann ist langweiliger als ein Stockfisch. Die Aussicht, diese Frau vielleicht doch noch zu der Seinen machen zu können, wäre mit Sicherheit ein weiterer Anreiz für unseren Kosmographen.
Ich weiß, werter Bruder, dass Du in Liebeshändeln sehr findig bist. Du könntet W. in dieser Angelegenheit bestimmt behilflich sein.
Es gibt also sehr viele Möglichkeiten, das Wissen und Können dieses Mannes für die Medici zu erschließen. W. könnte unserem Haus in vielem unschätzbare Dienste leisten. Deshalb denke ich, dieser Weg wäre allen anderen Überlegungen vorzuziehen.
Ich hoffe, werter Bruder, Du nimmst es mir, einem unbedarften Weib, nicht übel, dass ich Dir einen Rat gebe. Ich versuche nur, die mir übertragene Aufgabe zum Wohl unseres Hauses zu erfüllen.
In Liebe immer Deine Schwester Contessina de’ Medici-Ridolfi
Postscriptum: Hast Du etwas von Michelangelo gehört? Er soll sich ja gerade in Rom aufhalten. Wie mir zugetragen wurde, hat Papst Julius eine angemessene Beschäftigung für ihn ersonnen und ihn
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