Der Kartograph
Unrecht, wenn er Euch als Geschenk des Himmels bezeichnet. Obwohl ich sagen muss, etwas übertrieben fand ich diese Äußerung anfangs schon. Nun, jedenfalls seid Ihr ein besonderer Kopf. Einer, wie ich ihn unter den Gelehrten noch selten gefunden habe. Seid also willkommen. Ihr könntet ja nach der Seekarte außerdem mit einer des Herzogtums Lothringen beginnen.
Kurz, Wir bieten Euch Obdach in unserem Stift in Saint-Dié, alles Nötige für Euren Unterhalt – und vielleicht, falls Ihr Euch bewährt, eine Pfründe als Kanonikus auf Lebenszeit. Ach ja, und natürlich Unseren Schutz. Ist das in Eurem Sinne?» Die Worte «Unseren Schutz» hatte er besonders betont. Dabei blickte er Martin Waldseemüller scharf an.
Der zuckte zusammen. Was wollte der Herzog ihm damit sagen? Wusste er über die Einbrüche und Anschläge auf sein Leben Bescheid? Woher? Von Lud? Hatten Philesius oder Grüninger hinter seinem Rücken mit Gauthier Lud gesprochen? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen.
Doch Martin Waldseemüller beschloss, nicht nachzufragen. Er hatte vor allem noch einen wichtigen Wunsch. «Euer Hoheit, es heißt, Ihr seid aus gemeinsamen Studienzeiten in Florenz sogar mit dem großen Amerigo Vespucci bekannt. Könntet Ihr ihn nicht bitten, uns seine Unterlagen zukommen zu lassen?» Waldseemüllers Stimme wurde flehend. «Ich bin mir bewusst, dass sie schwer zu bekommen sein werden und sehr wertvoll sind. Doch Ihr geltet als ein Fürst, dem im Dienste der Wissenschaften und der Forschung nichts unmöglich zu sein scheint …» Wieder brach er ab. War er zu weit gegangen?
René von Lothringen verzog keine Miene. «So, meint Ihr? Nun, wir werden sehen. Man kann jedenfalls nicht gerade sagen, dass Ihr zu den Bescheidensten im Kreise meiner Gelehrten gehört, werter Magister.» Jetzt schmunzelte er.
Martin Waldseemüller fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte schon befürchtet, es sich mit diesem Förderer der Künste und der Wissenschaften verscherzt zu haben, dessen Hilfe er so dringend brauchte, um endlich an sein Ziel zu kommen, nämlich seine These über den vierten Erdteil zu untermauern.
Als die beiden gegangen waren, klingelte René von Lothringen nach seinem Schreiber. Er musste dem König von Frankreich Mitteilung machen, dass er ihm womöglich eine wertvolle Seekarte beschaffen konnte, die ihm, und damit Frankreich, den Weg zu den Schatztruhen einer neuen Welt wies. Ludwig XII. würde sich für dieses besondere Geschenk gewiss dankbar erweisen. Denn seine Staatskasse war ewig leer, die Früchte der Möchtegern-Entdecker in französischen Diensten bisher jedoch eher kärglich. Frankreich war in diesem Punkt weit hinter Portugal und dem Königreich von Kastilien zurückgefallen.
Er wusste auch schon, wer dem König von Frankreich diese Botschaft überbringen sollte. Jean Pélerin, erfahren in den Erfordernissen der Geheimdiplomatie und als ehemaliger Vertrauter von Ludwig XI. in den Angelegenheiten des Hofes bewandert. Er war der richtige Mann. Dass er außerdem selbst ein hoch geachteter Gelehrter und langjähriger Freund von Gauthier Lud war, würde der Botschaft noch größere Glaubwürdigkeit verleihen. Denn die Sache mit einem völlig neuen Erdteil war schon eine Sensation.
Falls sie stimmte. Aber etwas am Auftreten dieses Magister Waldseemüller hatte René II. das Gefühl gegeben, dass sie stimmte. Er regierte schon zu lange, war ein zu guter Menschenkenner, um sich derart zu täuschen. Ein Mann, wie dieser Magister Waldseemüller einer war, griff eine solche Behauptung nicht einfach aus der Luft. Der Tag, an dem dieser Ilacomylus in Saint-Dié eingetroffen war, war offensichtlich wirklich ein guter für das Herzogtum Lothringen. Seine Karte würde den Ruhm des Gymnasiums Vosagense in alle Welt tragen. Es war deshalb auch ein guter Tag für den Mann, der diese Wissenschaften förderte.
In den nächsten Tagen und Wochen wurden – teilweise unabhängig voneinander – viele Nachrichten auf den Weg gebracht. Alle betrafen sie den Magister Martin Waldseemüller, seine Karte und den Atlas von Saint-Dié.
Contessina de’ Medici war die Verfasserin eines der Schreiben. Sie hatte lange überlegt, wie sie ihrem Bruder die Begegnung mit Waldseemüller so schildern könnte, dass er vom Erfolg ihrer Mission überzeugt war. Sie sehnte sich so sehr danach, nach Florenz zurückzukehren. Noch immer kämpfte ihr Mann darum, den alten Status wiederzuerlangen und seine Ehre reinzuwaschen. Kardinal Giovanni de’ Medici schätzte
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