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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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mehrere
Mädchen einen frisch ernannten Herzog. »Vater sagt, der Titel hat ihn ein
Vermögen gekostet«, sagte eines, während sich die anderen die Lippen leckten.
»Ach, ich wäre so gerne Herzogin!« Ich sah Gräfin Riecher, die durch die Menge
rauschte, sehnsüchtige Blicke im Kielwasser. Ein Mann mit Orden auf der Brust
hielt eine Hand in die Höhe und stolperte ihr nach. »Oh, Gräfin«, sagte er.
»Ich bitte nur um eine Minute …«
    Meine Ohren strengten sich an, um die
Laute zu hören, die ich in der Erinnerung immer bei mir trug: die Stimme oder
das Lachen oder das Seufzen. Ich hörte sie nicht. Zweimal lief ich in eine Wand
und blieb dort stehen wie ein Automat, bis irgendein Intrigant sich meiner
annahm und mich zu meinem Maestro zurückbrachte. Guadagni bedankte sich mit
einem Lächeln, gleich darauf knurrte er mich an, ich solle verschwinden.
    Und dann war sie da.
    Meine Augen entdeckten sie, nicht
meine Ohren: Sie hatte das Haar zu einer goldenen Krone aufgesteckt. Ich spähte
durch den Ballsaal, über all die gepuderten Frisuren hinweg, über den
gerüschten Musselin und die Röcke mit den goldenen, von der Kaiserin
verliehenen Orden. All das wirbelte vor meinen Augen wie ein durchsichtiger
Nebel. Meine Ohren sehnten sich nach ihren kostbaren Lauten, aber sie stand
stumm in einer Gruppe von Männern am Kopf einer Treppe, die zu einer Galerie
führte, und sah auf den Ballsaal hinab.
    Eine juwelengeschmückte Hand ergriff
meinen Arm. »Er ist so blass«, sagte die Frau und schob mir ihre Nase vors
Gesicht. »Ist Er krank? Ein Schluck Wein wird Ihm guttun.« Ich ließ zu, dass
sie das Glas an meine Lippen hob, und ich trank, aber dann befreite ich mich
von ihrem Arm und ging mit unsicheren Schritten auf die Treppe zu, als liefe
ich auf Eis.
    Amalia leuchtete zwischen diesen
Männern wie ein brennendes Stück Kohle, das halb unter Asche versteckt ist. Sie
diskutierten, sie gestikulierten, sie nickten bekräftigend, und obwohl sie
teilnahmslos an ihnen vorbeisah, war sie es, zu der sie sprachen, die sie mit
ihren Worten erreichen wollten. »Ach, bitte kommt«, sagte ein dicker Mann. »Ich
bitte Euch. Ihr müsst.« Ein anderer nickte, als wäre das die größte Weisheit,
die er je gehört hatte. Jemand unter uns ist lebendig!, sagten ihre hungrigen Blicke. Sie lächelte höflich und
hatte die Schultern gestrafft, als posiere sie für ein Porträt. Ihr weißes
Kleid, das unter der Brust mit einer violetten Schleife verschnürt war, verbarg
all ihre Rundungen. Sie war es, und doch war etwas entschieden anders. Ich
konnte es nicht bestimmen. Sprich!, betete ich. Lass mich dein
Lachen hören!
    Ich glitt die Stufen hinauf, lautlos
wie damals, als ich mich nachts in die Sankt Gallener Häuser geschlichen hatte.
Ihr Hals war so lang. Am liebsten wollte ich mein Ohr an die Stelle hinter
ihren Ohren drücken, wo ihr hochgestecktes Haar in einer Spitze aus weichem,
blondem Flaum endete.
    Ich umkreiste sie von hinten, und
einen Augenblick standen wir nur ein paar Zoll voneinander entfernt. Ich hörte
ihren Atem – das tiefe Einatmen durch die Nase, das Öffnen der Lippen, das
warme Ausatmen durch den Mund, das weiche Kleid an ihrer Haut, als sich ihre
Schultern hoben und senkten.
    Dann lösten sie und ein jüngerer Mann
sich aus der Gruppe und gingen die Treppe hinunter. Er legte eine Hand auf
ihren Rücken, um sie zu führen: Anton Riecher, wie mir klar wurde, und
plötzlich bewunderte ich alles an ihm, sogar seine gezupften Augenbrauen und
seine weißen Zähne. Er war so sehr Mann, wie ich befürchtet hatte: elegant und
groß. Seine eindrucksvolle Stirn und die tiefliegenden Augen ließen ihn gut
aussehen, wirkten aber gleichzeitig schläfrig, als gingen seine leichten
Schritte in Richtung seines Bettes. Mehrere Minuten lang verfolgte ich die
beiden, und meine Ohren konzentrierten sich auf jeden Laut. Wenn Anton einen
Gast traf, reichte er ihm die Hand, als suchte er lediglich einen Platz, wo sie
eine Weile ausruhen könnte. Wenn er angesprochen wurde, nickte er wiederholt,
sodass er sich dem Mund des Sprechers immer weiter näherte, bis er bereit
schien, sich dem anderen in die Arme zu legen. Er streckte sich erst wieder,
wenn er selbst sprach, was langsam geschah und mit großem Nachdruck. »Ich habe
durch meine Mutter so viel von Euch gehört. Wie schön, dass ich endlich Eure
Bekanntschaft mache«, sagte er zu einem Offizier. »Faszinierend, was Ihr sagt«,
zu einem Geschäftsmann. »Meiner Ansicht nach

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