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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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überzeugt, den Grund zu kennen, warum das Mädchen
nicht heiraten wollte: Sie war vernarrt in einen anderen Mann .«
    Er zog die Feige von meinen Lippen
zurück, und als ich die Augen öffnete, fühlte ich das Blut wieder durch meine
Adern fließen. Sie gehört mir, wollte ich schreien, obwohl ich wusste, dass ich wie
der größte Narr der Welt klingen würde. Mir!
    Schließlich legte er die verschmähte
Feige in die Schale zurück. Er nahm einen tiefen Atemzug, und als er wieder
sprach, lag in seiner Stimme ein Anflug von Ärger.
    »Wie konntest du so grausam sein,
Moses? Gewiss hast du doch von der geplanten Heirat gewusst? Sie ist ein
wunderbares Mädchen aus einer der besten Familien in den Landen der Abtei. Er
ist ein adliger Mann von großem Ansehen in einer der größten Städte Europas.
Sie werden glücklich sein, mein Sohn.«
    Er seufzte, wartete auf meine Antwort.
Ich schwieg. Er schüttelte entsetzt den Kopf.
    »War es Neid? Kränkt es dich, dass sie
reich und gebildet ist? Oder gibt es geheime Gründe für deine Bosheit? Als man
mich davon in Kenntnis setzte, dass ein Novize so schändlich gehandelt hat,
habe ich keinen Augenblick geglaubt, dass es sich um dich handeln könnte. Du wärst mir gar nicht in den
Sinn gekommen. Aber dann habe ich nachgedacht. Schließlich liebt man eure
Stimmen in den verderbten Städten Europas. Hast du für sie gesungen? Das muss
der Grund sein. Deine Stimme hat dieses naive Mädchen in ihren Bann geschlagen.
Ich danke Gott, dass ich deinen Gesang in meiner Kirche schon vor Jahren
unterbunden habe.«
    Der Abt stand auf. Er trat zur Tür,
drehte sich aber noch einmal zu mir um. Der Saum seiner Kukulle raschelte über
den Boden. Jedes seiner Worte war wahr, aber trotzdem begann die Wut in mir zu
schäumen. Wie konnte er es wagen, die Klänge zu schmähen, die mir das Liebste
waren? »Für dich und für alle, die du täuschst, bleibt nur das Elend«, fuhr er
fort. »Ich hoffe, dass du das jetzt einsiehst. Ein Glück nur, dass ein
dauerhafter Schaden auszuschließen ist. Natürlich macht sich Karoline Duft
große Sorgen, dass du das Mädchen für ihren Ehemann verdorben hast. Sie hat
mich gefragt, ob die Ärzte der Abtei Abhilfe schaffen können.« Der Abt presste
fest die Lippen zusammen, um sein Lachen zu unterdrücken. »Ich sagte ihr, das
sei nicht notwendig, aber sie ließ sich nicht davon abbringen. Also muss es
sein. Aber ich bin mir sicher, dass der Ehemann nicht enttäuscht werden wird.«
    Ich errötete vor Scham und betete,
dass der Abt es in der Dunkelheit nicht sehen würde.
    »Noch größere Sorgen macht sie sich
jedoch darüber, dass das Mädchen die Eheschließung ablehnen könne, und zwar aus
fortdauernder« – auf der Suche nach dem richtigen Wort wedelte er
geringschätzig mit der Hand – » Sympathie für dich, aber in diesem Punkt konnte ich sie
glücklicherweise beruhigen. Die Angelegenheit konnte schnell geregelt werden.«
    Ich setzte mich auf.
    »Nun, das Mädchen weiß ja gar nicht,
was geschehen ist, sodass ich einen Brief an Herrn Willibald Duft geschrieben
und ihn vom Tod des Chorknaben in Kenntnis gesetzt habe, der für seine kranke
Frau gesungen hat. Ich habe ihm mitgeteilt, du wärst vom Dach gefallen. Es sei
mir unerfindlich, aus welchem Grund du mitten in der Nacht dort oben warst. Ich
bin mir sicher, dass er die traurige Nachricht an seine Tochter weitergibt;
Karoline Duft wird dafür sorgen.« Demütig senkte er den Kopf. »Vielleicht ist
es nur die halbe Wahrheit, die ich enthüllt habe, und das mag fragwürdig sein.«
Sein Kopf schnellte in die Höhe. »Aber es korrigiert deine weitaus größere
Täuschung. Es ist besser für dich, für sie, für uns alle.«
    »Nein«, flehte ich. Ich hockte auf
Händen und Knien und versuchte aufstehen. Ich war so schwach. »Ihr müsst mich
mit ihr spre …«
    Der Abt beachtete mich nicht.
»Offenbar will das Mädchen jetzt nur noch fort aus dieser Stadt. Die Hochzeit
ist morgen. Hier in unserer Kirche. Ich selbst werde sie trauen.«
    Wieder versuchte ich aufzustehen. Der
Abt beobachtete meine Anstrengungen. Er schüttelte den Kopf, als überwältigte
ihn das Mitleid. Dann hob er den Fuß. Sein Schuh berührte meine Schulter. Ein
leichter Stoß genügte, um mich umfallen zu lassen.
    Er verließ die Zelle, aber er sprach
noch durch einen Spalt, bevor er endgültig die Tür schloss. »Die Wahrheit, wie
bedauerlich sie auch sein mag, ist der Täuschung immer vorzuziehen, Moses. Ich
lasse dich heraus, wenn es

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