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Der Katalysator

Der Katalysator

Titel: Der Katalysator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles L. Harness
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ver­zau­ber­te Welt der Brücke.
    Kal­te Schau­er lie­fen ihm über den Rücken. Jetzt, oh­ne es zu wis­sen, stand die Pries­te­rin vor der Brücke, und auf der an­de­ren Sei­te war­te­te der Pro­phet. Sie wuß­te nicht ein­mal, daß sie die Pries­te­rin war oder daß dies der letz­te Akt von Song war und daß nun bald der Au­gen­blick kom­men wür­de, da sie ih­re Bit­te aus­spre­chen müß­te.
    Soll­te er sie we­cken? Aber das war ein al­ber­ner Ge­dan­ke. Sie war wach – ge­nau­so wach wie er selbst. Aber wuß­te sie, um was sie bit­ten soll­te? Und was war hier über­haupt das Rich­ti­ge? Ge­sund­heit für sie? Für ihr Kind? Er wuß­te es auch nicht. Er fühl­te sich ab­so­lut hilf­los.
    In wei­ter Fer­ne glaub­te er Mu­sik zu hö­ren, ei­ne ein­fa­che, nost­al­gi­sche Flö­ten­me­lo­die. Er schau­te Ma­ry aus dem Au­gen­win­kel an. Er wuß­te, daß sie es eben­falls ge­hört hat­te. Ihr Ein­satz.
    Sie schau­te über die Brücke zu die­sem son­der­ba­ren Ge­sicht und mur­mel­te in sin­gen­dem Ton­fall: „Leb wohl … ru­he, träu­me … du mein ge­lieb­ter Gott …“ Sie hat­te die Ab­schieds­wor­te Brun­hil­des an den ver­schwin­den­den Wo­tan und Sol­ve­jgs an den ster­ben­den Peer Gy­nt mit­ein­an­der kom­bi­niert.
    Je­sus! dach­te Paul. Ihr Au­gen­blick ist ge­kom­men und ge­gan­gen, und sie hat um nichts ge­be­ten!
    Jetzt tat der Be­su­cher et­was Selt­sa­mes. Er kreuz­te die Ar­me vor der Brust und ver­neig­te sich vor ihr. Und sie wuß­te, was dies be­deu­te­te. Es war der re­spekt­vol­le Gruß der Män­ner al­ter Kul­tu­ren an ei­ne Frau, die ein Kind trug, die An­deu­tung ei­ner Sit­te aus den Kind­heits­ta­gen der Mensch­heit, als man mit Stau­nen und Ehr­furcht sah, wie ei­ne Frau neu­es Le­ben er­schuf.
    Sie hob den Arm in ei­ner Ab­schieds­ges­te.
    In die­sem kur­z­en Au­gen­blick schi­en ein Licht von der Ge­stalt aus­zu­ge­hen; es ström­te über die Brücke hin­weg zu ihr her­über und um­spül­te ihr Ge­sicht und ih­ren Kör­per. Dann er­losch es, und die Ge­stalt war ver­schwun­den.
    Die Lu­mi­nex-Schir­me wur­den dun­kel, und al­le Ge­räusche ver­stumm­ten.
    Sie ließ den Arm sin­ken, aber ei­ne Wei­le blieb sie noch so sit­zen und starr­te in den stil­len Raum.
    Et­was be­rühr­te sie. Sie fuhr zu­sam­men und ent­spann­te sich gleich wie­der. Es war Paul. Er hat­te die Hand auf ih­ren nack­ten Rücken ge­legt.
    „Ja“, sag­te er lei­se, „das war Bil­ly. Es war Black Bridge, un­ser Lieb­lings­platz da­mals in Da­mas­cus.“
    Sie er­griff sei­ne Hand und leg­te sie auf ih­ren Bauch.
    Er ver­stand nicht, was sie da­mit mein­te. War et­was mit dem Ba­by?
    „Mein Ge­burts­fleck“, sag­te sie ru­hig. „Er ist weg. Und ich ha­be ei­ne Art Na­bel. Ich bin ein rich­ti­ger, le­ben­di­ger Mensch.“
    Er be­tas­te­te ih­ren Leib, zu­erst un­gläu­big und dann fas­sungs­los. Es stimm­te. Bil­ly hat­te es be­wirkt – ir­gend­wie. Und na­tür­lich war das Ba­by wohl­auf, ob­wohl sie um all dies nicht ge­be­ten hat­te. Viel­leicht war dies das Ge­heim­nis von Song. Er­bit­te nichts, und du wirst al­les be­kom­men. War das die Ant­wort? Er wuß­te es nicht. Was hier mit Ma­ry ge­sche­hen war, ent­zog sich lo­gi­schen Schluß­fol­ge­run­gen. Viel­leicht wür­den sie nie­mals al­le Ant­wor­ten er­fah­ren.
    Aber ei­nes blieb trotz al­lem noch zu tun. „Ich ha­be die Ka­ta­ly­sa­tor-Hül­se mit­ge­bracht. Sie ent­hält sei­ne Asche, weißt du. Wir müs­sen noch ein­mal zu die­ser Brücke. Ich wer­de den Ka­ta­ly­sa­tor in den Bach schüt­ten. Er wür­de es so ha­ben wol­len.“
    „Ja. Das wür­de er wol­len.“ Sie über­leg­te. „Er­zähl mir von Da­mas­cus.“
    „Es ist ziem­lich ei­gen­ar­tig dort. Kei­ne U-Bahn. Kei­ne Stra­ßen­tun­nels. Es reg­net fast nie. Es ist dau­ernd win­dig. Im Som­mer ist es zu heiß, im Win­ter zu kalt. Zwei­hun­dert Kir­chen. Aber man kann sei­nen Elec­tric nachts auf der Stra­ße ste­hen­las­sen, oh­ne ihn ab­zu­schlie­ßen. Wenn man sich in be­lie­bi­ger Rich­tung fünf Mei­len vom Rat­haus ent­fernt, steht man in ei­ner Wild­nis von Bu­schei­chen und Korn­blu­men. Der Him­mel ist so hell, daß man fast

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