Der Katalysator
dreihundertfünfzig Grad Celsius und atmosphärischem Druck eine substantielle Dampfspannung?“
„Ja“, sagte Serane. „Hier ist das Phasendiagramm. Wie Sie sehen, ist es bei dieser Temperatur immer noch im Festzustand.“
Paul erkannte das Schaubild. Es zeigte das Verhältnis von festem, flüssigem und gasförmigem Zustand bei unterschiedlichen Temperaturen und Druckverhältnissen. Er hatte es an jenem ersten Abend auf der Perle gesehen. Ohne ein Inhaltsverzeichnis zu benutzen, hatte Serane augenblicklich die richtigen Daten in seine Fernbedienung eingegeben und das Schaubild abgerufen. Es war eine unglaubliche Gedächtnisleistung. Paul erstarrte in Ehrfurcht.
Die Dampfphase des Diagramms schien in Wolken zu schweben; die Flüssigkeit leckte in kleinen Wellen gegen den Schnittpunkt, und die Festphase reflektierte gefrorene Flächen wie Eis.
Und jetzt formte sich die dreifache Spitze des Diagramms in drei leuchtend roten Linien direkt vor Dr. Quirrel. Ihr Schnittpunkt flimmerte, vibrierte und schwankte betörend vor seinem Gesicht. Seine Nasenlöcher blähten sich. „Aha“, hauchte er und pickte sich eine Rosine aus der Planckschen Quantentheorie.
Weitere Bilder folgten; Serane packte ihn mit Grahams Diffusionsgesetz, schlug mit Loschmidtschen Zahlen auf ihn ein und bedrängte ihn mit dem Joule-Thomson-Effekt. „Und jetzt zurück zur Ausgangsfrage“, beharrte Serane. „Wie lösen wir das Trialin vom Katalysator, ohne den Katalysator aus der Kammer zu nehmen?“
„Sublimieren Sie es mit dem Ammoniak aus dem verdampften Urea-Zufuhrstrom!“ rief Quirrel.
Serane blies die Fanfare zur letzten Attacke. „Tauschen wir den Katalysator aus?“
Dr. Quirrel huschte über die Periodentafel. „Ein Kieselsäure-Katalysator ist immer noch am besten!“ quiekte er. „Ein spezieller Typ von poröser Kieselsäure!“ Serane hatte es wieder aus ihm herausgeholt! Würde er es nie lernen? Mit einem frustrierten Aufschrei floh er aus der staunenden Versammlung.
Serane warf ihm einen bewundernden Blick nach. „Ein wahrhaft großer Wissenschaftler“, murmelte er. „Aber am besten ist er, wenn man ihm ein wenig zusetzt.“
Als die Versammlung sich auflöste, sprach Paul Serane an. „Ich glaube, ich habe nicht alles mitbekommen“, meinte er zweifelnd. „Hat er gemeint, daß man Trialin bei atmosphärischem Druck durch Verdampfung vom Katalysator ablösen kann?“
„Richtig. Es verflüchtigt sich, und so bekommen wir es los. Es bildet sich als Feststoff am Katalysator, aber wir können es als Dampf ablösen, ohne es zwischendurch zu verflüssigen und ohne den Katalysator zu beeinflussen. Wir fahren die Reaktion bei dreihundertfünfzig und lösen das Trialin mit Ammoniak vom Katalysator. Jetzt brauchen wir nur noch die richtige Kieselsäure und die richtige Mischung von Oxyd-Aktivatoren zu finden. Aber wir sind zweifellos auf der richtigen Spur, und wir können anfangen, den Harnstoff-Pyrolysator zu bauen.“ Er machte ein nachdenkliches Gesicht. „Wissen Sie, Paul, ich habe das seltsame Gefühl, daß die Lösung offen vor uns liegt, daß wir jetzt alles wissen, was wir wissen müssen – wenn wir es nur richtig zusammenfügen können.“
Auch Paul war nachdenklich. Der Ammonit auf seinem Schreibtisch bestand aus einer porösen Kieselsäure. Und Billys Asche war ein Gemisch von Oxyden – vielleicht inzwischen ein wenig karbonisiert. Ein eigenartiger Zufall.
Auf dem Rückweg zu seinem Büro mußte er an Serane denken. Er wußte, daß er einen Meister in Aktion gesehen hatte. Serane war für die kreative Chemie, was Michelangelo
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