Der Kater der Braut: Roman (German Edition)
abgeworfen. Seit sie nicht mehr jeden Abend für den Herrn Gemahl kochen musste, hatten die Kilos die Massenflucht angetreten. Als Belohnung fürs Abspecken hatte ich Mareike nach Feierabend und in etlichen Nachtschichten ein Kleid geschneidert, das ihre neue gertenschlanke Figur perfekt zur Geltung brachte. An diesem Tag sollte die letzte Anprobe stattfinden.
Im Gegensatz zu meiner Freundin hatte ich seit dem vergangenen Sommer wohl eher zu- als abgenommen. Manchmal hatte ich den Verdacht, dass sogar das Fett aus meiner Tagescreme auf den Hüften landete. Ich beschloss, auf Nummer sicher zu gehen und die Sommerfähnchen kurz anzuprobieren, bevor ich sie im Koffer verstaute.
Für diese kleine private Modenschau drehte ich die Musik noch etwas lauter. Dann tauschte ich Jeans und Baumwollpullover gegen ein schwarzes Minikleid mit Spaghettiträgern ein. Puh, Schwein gehabt! Das Kleid saß wie angegossen. Zufrieden betrachtete ich mich im Spiegel. Mein volles kastanienbraunes Haar fiel mir in weichen Wellen über die Schultern. Ich empfand diese pflegeleichte Mähne als Geschenk des Himmels – und als gerechte Wiedergutmachung für meine Elefantenfüße. Die Hände in die Hüften gestützt, posierte ich wie ein Model vor dem Spiegel. Dann drehte ich mich einmal schwungvoll um die eigene Achse, lauthals den Refrain meines Lieblingssongs mitgrölend: »I am what I am, I don’t want praise, I don’t want pity …«
Ein Geräusch aus der Diele ließ mich zusammenzucken. Ertappt fuhr ich herum – und erstarrte mitten in der Bewegung zur Salzsäule. In meiner Wohnung stand ein wildfremder Mann! Natürlich hatte es sich auch schon bis zu mir herumgesprochen, dass die Kriminalität in Großstädten Besorgnis erregend hoch war. Allen einschlägigen Reportagen und Zeitungsberichten zum Trotz hatte ich mich in meinen eigenen vier Wänden jedoch bislang immer sehr sicher gefühlt. So sicher, dass sich mitunter ein gewisser Leichtsinn eingeschlichen hatte. Das rächte sich jetzt bitter.
Ich war das ideale Opfer: weiblich, alleinstehend und zu allem Überfluss auch noch relativ spärlich bekleidet. Wie ein dummes Schaf, das sich für den bösen Wolf extra noch ein rotes Schleifchen um den Hals gebunden hatte …
Was tun? Ich dachte fieberhaft nach. Angriff war bekanntlich die beste Verteidigung! Den Kleiderbügel, den ich mir reflexartig vom Stuhl gegrapscht hatte, konnte ich für diesen Zweck schon mal vergessen. Der zerbrach, wenn man ihn nur scharf anschaute. Blieb noch die Möglichkeit, den Eindringling mit einem gezielten Tritt in die Weichteile schachmatt zu setzen. Doch erstens wollte ich niemandem voreilig die Familienplanung zerstören – im Zweifel für den Angeklagten –, und zweitens hatte ich vom Joggen immer noch solchen Muskelkater, dass ich kaum einen Fuß hochbekam. Falls mein Gegner nicht über ein Gemächt wie ein Stier verfügte, das bis zu den Knien herunterbaumelte, hatte ich verdammt schlechte Karten. Aber vielleicht gelang es mir ja, ihn mit einer Verbalattacke in die Flucht zu schlagen.
»Wie kommen Sie denn hier rein?!«, blaffte ich den Kerl mit dem Dreitagebart an.
»Wie jeder normale Mensch: durch die Tür.«
Weil ich befürchtet hatte, dass ich bei der lauten Musik die Klingel überhören könnte, hatte ich die Tür für Mareike angelehnt gelassen.
Ich versuchte, mir meine Panik nicht anmerken zu lassen, und verschanzte mich hinter einer großen Klappe: »Und verraten Sie mir auch, was Sie hier zu suchen haben?!«
»Ich wollte nur kurz Hallo sagen.«
»Ach, das ist wohl so ein Tick von Ihnen, in offene Häuser oder Wohnungen reinzuspazieren, um mal eben Hallo zu sagen.«
»Normalerweise nicht. Ich bin der neue Nachbar.«
Eigentlich hätte man den Stein, der mir vom Herzen fiel, laut plumpsen hören müssen.
»Ach, der Enkel«, kombinierte ich erleichtert.
»Eigentlich ist mein Name Philipp«, sagte er mit einem spitzbübischen Grinsen und einer kleinen Verbeugung. »Gestatten, Philipp Groß.«
»Moment mal, ich dachte, du heißt Paul.« Ich war immer noch ein wenig misstrauisch. Schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass ein wildfremder Kerl einfach so mir nichts, dir nichts in meine Wohnung spazierte.
»Paul ist mein zweiter Vorname. Meine Oma ist die Einzige, die mich Paul Junior nennt.«
O. K., Entwarnung. Solche Marotten sahen Frau Groß ähnlich! Nachdem ich von der Identität meines neuen Nachbars überzeugt war, nahm ich mir endlich die Zeit, mein Gegenüber genauer in
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