Der Katzenelf (German Edition)
herausgefahren und dann wanderten sie zusammen auf den Buckligen Berg und sahen von dessen Gipfel nach Süden schweigend und ergriffen in das dahinter liegende und von aller Zivilisation noch unberührte ‚Stille Tal‘ hinunter, bevor sie sich zum Abstieg auf ihrer Seite Richtung Dorf entschlossen.
Abends tranken sie dann mit Großmutter gemütlich dunkelroten Wein vor dem flackernden Kamin, bevor sie mit einer weiteren Flasche des erdigen Getränkes, kichernd in Isas Appartement verschwanden und gemeinsame Bekannte durch den Kakao zogen, oder Pläne schmiedeten.
Das war vor der Zeit mit Benno und bis zu jenem Tag an dem Anna ihren hoch dotierten Managerjob annahm. Doch dann war es vorbei mit den behaglichen und unbeschwerten Wochenenden, denn ihre Freundin hatte für sie und gemeinsame stille Tage im Haus am See keine Zeit und wahrscheinlich auch keine Lust mehr, hier ihre freien Stunden bei Isa in dieser Einsamkeit zu verbringen. Bald darauf lernte Isa den Antiquitätenhändler Benedikt bei einem von Annas Events kennen. Kurz darauf verließ sie Imogen, die ihre Enkelin, großherzig aber traurig und beunruhigt ziehen ließ. Und sie verließ das Haus am See um in die Stadt zu Benno in sein luxuriöses Appartement zu ziehen und kam nur mehr selten zu ihrer Großmutter aufs Land.
Als sie weinend an Imogens Grab stand, machte sie sich bittere Vorwürfe, dass sie nicht öfter die alte Frau besucht hatte. Wegen dieser zänkischen und demütigenden Liebe zu Benno, den unbefriedigenden Treffen mit seinen egoistischen Freunden und das hektische Treiben in der Stadt, hatte sie Imogen und ihr harmonisches Leben hier am Land vergessen. Isa lehnte sich an den dicken Stamm des Baumes und umarmte ihn. So heftig war die plötzliche Trauer in ihrem Inneren, als sie an Imogen dachte. Sie fühlte die raue Rinde der Eiche wie eine tröstliche Liebkosung an ihrer Wange. Ein wohliges zufriedenes Gefühl durchströmte sie. Ja, es war eine gute Entscheidung endlich ein Leben ohne Benedikt hier im Haus am See zu führen! Und sie fragte sich, ob sie es wohl geschafft hätte, ihn ohne die kleine Katze zu verlassen. Nein, ohne Prinz hätte sie monatelang hin und her überlegt, nächtelang schlaflos gegrübelt, sich tagelang geärgert und aus Angst vor Alleinsein und einer eventuellen Armut ihr altes Leben weitergelebt!
Benedikt fürchtete kleine Kinder, die Unordnung und Chaos in seine wohldurchdachte Lebensordnung und in seinen durchstrukturierten Alltag brachten. Er verabscheute Tierhaare in seiner Wohnung und fand die Mühe nicht wert, die man mit Haustieren hatte. Und er betonte es immer und immer wieder: Es war seine Wohnung, sein Geld, sein Auto und sein Leben und Isa hatte sich danach zu richten.
Sie sah durch die kahlen Äste in den blassblauen Oktoberhimmel und bewunderte die Föhnwolken, die seltsamen Märchengestalten gleich, über den Buckligen Berg zogen. Über dem See formten sie sich zu gewaltigen Drachen, wie ein kriegerisches Saurierheer aus vergangenen Zeiten.
Hier war es so friedlich, sie rekelte sich und fuhr zärtlich mit ihren Fingerspitzen über die Baumrinde. Sie spürte wie der Baum atmete und ihr war als würde auch er glücklich seufzen. Sie lächelte über ihre Gedanken. Sie hatte jahrelang nie an diesen Baum gedacht, jetzt fiel ihr Vergangenes wieder ein: Die Zeit nach dem tödlichen Unfall ihrer Eltern, die Jahre in der kleinen Dorfschule. Sie, das eigenartige Kind, das anders war als die übrigen Dorfkinder und dadurch keine Freunde fand. Großmutter und Trimmel nannten sie immer „Elfenkind“, weil sie lieber ihre Zeit im Wald bei den Pflanzen und Tieren zubrachte, als mit den anderen Kindern zu spielen. Deshalb hänselten sie auch ihre Schulgenossen und sie riefen ihr Namen wie „böse Hexe“ oder „ Zauberin“ nach und zogen sie erbarmungslos an ihren langen goldroten Zöpfen. Sie quälten und demütigten sie und so mied Isa außerhalb der Schulstunden den Umgang mit den Kindern des Dorfes.
Das gemeinsame Sammeln heilender Kräuter zusammen mit ihrer Großmutter im nahe liegenden dunklen Wald, der sich geheimnisvoll und verlockend vom See bis zu dem von Bäumen freien Buckel des Berges zog, war eine Lieblingsbeschäftigung in ihrer schulfreien Zeit.
Sie wanderte mit Imogen den Berg hinauf in Richtung Joch und zu der dortigen Quelle, die zu Großmutters Besitz gehörte. Sie besuchten Trimmel in der alten Forsthütte und aßen mitgebrachten Kuchen.
Verträumt dachte sie an jene Zeit, an die
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