Der Kaufmann von Lippstadt
Stadt-Syndicus Clüsener wissen.
»Nein«, antwortet der Bäckerbursche. »Ich kann nichts weiter sagen, als dass er wie ein Bauernjunge gekleidet war.«
Clüsener ereifert sich: »Ist nicht noch jemand zugegen gewesen, der den Umstand mit dem Verkauf des Pulvers angehört hat?«
»Nein!«, gibt Thiemeyer zu Protokoll.
»Weißt du denn, ob der besagte Junge noch jemand anderem Pulver zum Kauf angeboten hat?« Clüsener lässt nicht locker. Es gefällt ihm nicht, dass es nur der Musculus gewesen sein soll.
»Nein! Das weiß ich nicht!«, schreit Thiemeyer. 39
Er ärgert sich über sich selbst. Hätte er nicht seinem Herrn, dem Ratsherren und Bäckermeister Bernhard Buddeberg, von dem Kaufangebot erzählt, müsste er nicht dieses Verhör über sich ergehen lassen. Was hat sich dieser Hurensohn von Plange nur gedacht?, flucht Thiemeyer in Gedanken und überlegt, woher der Plange von diesem Vorfall am Cappel Tor weiß.
Auf dem Weg zur Backstube erscheint ihm die ganze Angelegenheit immer undurchsichtiger. Durchnässt vom Regen, kommt er beim Bäcker Buddeberg an.
»Da bist du ja. Wieso dauert das so lange? Das Mehl kommt nicht von allein aus dem Lagerraum. Mach gefälligst deine Arbeit!«, schimpft Meister Buddeberg. »Los, zügig!«, schreit er Thiemeyer an. Wütend schleppt der Bäckerbursche einen Sack Mehl in die Backstube. Der Plange hätte sein Maul halten sollen.
Wie ein Lauffeuer verbreitet es sich in der ganzen Stadt: Die beiden Burschen, die Hirten, haben Pulver gestohlen. Sie haben es zum Kauf angeboten, einmal, mindestens einmal. Jemand sagt, wer das einmal macht, der macht es auch öfter. Ja, bestimmt, wer weiß denn, ob sie nicht schon mehr Pulver verkauft haben? Haben sie bestimmt getan. Hatten sie nicht auch Geld? Wo sollte es herkommen, wenn nicht aus den Verkäufen? Es muss aus den Diebstählen stammen. Ja, habe man die Burschen nicht auch mit Fremden vor den Toren der Stadt gesehen? Der Plange sagte, am Cappel Tor sei der Bäckerbursche Thiemeyer angesprochen oder gar bedroht worden. Oft trieben sich die Jungen auch vor dem Cluse Tor, dem Süder Tor und dem Soest Tor herum. Kühe hüten. Jetzt wisse man es besser. Diebesgut veräußert haben sie auf verbrecherische Art. Gestohlen haben sie! Ein Wort ergibt das andere, und noch vor dem Abend haben die Lippstädter ihr Urteil über die beiden Burschen gefällt: Schuldig! Da sei es nur die gerechte Strafe, dass nun beide tot seien.
Beim Abendessen berichtet Ferdinand Overkamp seiner Gemahlin Johanna von dem Gerede und den Gerüchten in der Stadt. Er lässt sie glauben, dass die allgemeine Meinung der Leute seine eigene ist. »Die beiden Burschen sind selbst schuld. Was hatten die beiden dort in den Pulvermagazinen auch zu schaffen? Jeder in Lippstadt weiß, dass immerzu Pulver gestohlen wurde, seit der Krieg vorbei ist. Das meiste wohl von den toten Kuhjungen«, ereifert sich Ferdinand Overkamp und wünscht, seinen eigenen Worten glauben schenken zu können. Dass die Wahrheit ihn zunehmend quält, versucht er zu übergehen.
»Seien Sie nicht so hart in Ihrem Urteil. Waren die Magazine nicht gesichert?«, setzt Johanna ihm entgegen.
»Doch, man hatte sie zur Vorsicht mit Palisaden umgeben, die man einfach auseinander schieben kann «, erklärt Ferdinand und erschrickt. Das weiß er ja nur, weil …
»Mehr nicht?«, fällt sie ihm ins Wort, ohne etwas bemerkt zu haben. »Da sollten Wachen stehen. Nicht erst jetzt. Immer schon hätten sie dort sein sollen. Am besten, die ganze Munition wird aus der Stadt geschafft«, fordert Johanna.
»Wenn das so einfach wäre«, gibt Ferdinand zu bedenken.
Als der Tisch abgedeckt ist und Berta, die alte Magd, den Raum verlassen hat, ergreift Ferdinand Overkamp das Wort. »Liebe Johanna, liebe Elisabeth, ich habe gestern mit Freund Matthiesen über unser delikates Problem gesprochen.« Er weist mit der Hand zu seinem Geschäftsfreund. »Er hat sich auf mein dringliches Bitten bereit erklärt, dich, Elisabeth, mit nach Lübeck zu Tante Katharina zu nehmen.« Ferdinand blickt seine Tochter streng an.
»Vater!« Ihre Stimme versagt. »Bitte verzeihen Sie mir!«, fleht sie unter Tränen.
»Pack deine Sachen, deine Mutter hilft dir. Und verlass das Haus bis zu deiner Abreise nicht«, befiehlt er kalt und steht auf. Hinrich Jost Matthiesen gibt er ein Zeichen, ihm zu folgen. »Was sagen Ihre Termine? Wann müssen Sie Lippstadt verlassen?«, erkundigt sich Overkamp und bietet Matthiesen einen ordentlichen Schluck
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