Der Keil des Himmels
blickte ihm grinsend ins Gesicht.
„Nicht Nefraku, dich müssen wir aus der Scheisse rausholen. Bist immer für 'ne Überraschung gut. Alles klar, Schwarzer?“
„Werd‘s überleben.“ Er musste sich Mühe geben, es einigermaßen verständlich über seine Lippen zu bringen.
„Darauf kommt‘s an. Darauf kommt‘s immer an.“
Der Schmerz hielt sich beharrlich, aber sein Kopf wurde langsam klarer. Um ihn herum herrschte Tumult, ein wildes Kampfgetümmel. Er sah die Uniformen der Sechzehnten. Der Söldnerhaufen der Attentäter war in Bedrängnis.
„Du kommst klar?“ Kudai sah ihn besorgt, ungeduldig an. Eine Welle der Erleichterung durchfuhr ihn. Nicht nur gerettet zu sein sondern auch den Kleinen hier zu sehen.
„Ich komme klar.“ Es war der Schlag auf den Hinterkopf, der ihn fertig gemacht hatte. Wenn er sich jetzt nicht noch übergeben musste, war er bald wieder auf dem Damm. Der Rest der Wunden würde heilen und zu weiteren Narben werden.
Mit einem letzten Klaps auf die Schulter sprang Kudai auf und eilte seinen Leuten zu Hilfe. Er blickte ihm hinterher. Einige der Attentäter kämpften noch erbittert, andere wandten sich schon zur Flucht und wurden verfolgt. Die Kämpfe zogen sich auf dem mit Trümmern übersäten Gelände auseinander.
Er verlor Kudai im Kampfgetümmel aus den Augen.
Die Gestalt des Feindes
Die Räume, in denen man den Homunkuluskörper verwahrte, waren deutlich anders als alle Bereiche in Himmelsriff, die er bereits kennengelernt hatte. Wie mit einem deutlichen Ruck durchschritt er eine unsichtbare Schwelle und ein Teil des durch die Eigenwilligkeiten des Ninraé-Ortes entstandenen beständigen Druck auf seine Sinne war von ihm genommen. Verschleierung und Zersplitterung wichen einer größeren Eindeutigkeit, einer faktischen Klarheit. Auric hatte mit der Zeit gelernt – auch jetzt, während dieses Abstiegs in die Tiefen von Himmelsriff lernte er –, besser mit der sinnverwirrenden Aura im Innern der Ninrafeste umzugehen, doch trotzdem ging dieses Eintauchen in eine fassbarere Nüchternheit für ihn mit einer überraschend deutlichen Erleichterung einher, der Rückkehr einer lange vermissten Vertrautheit mit dem Wesen von Raum.
Endlich hatten Räume gerade Kanten, rechte Winkel, klare Fluchten, ohne dass ein Hintersinn in einer simplen Wand lag.
Dennoch, von menschlicher Architektur hatten diese Räume nicht viel. Maßstäbe und Dimensionen erschlugen auch hier die Sinne, die Räumlichkeiten waren ein Labyrinth, das sich in verschachtelten, kaum erahnten Tiefen verlor. Sie waren vollgestopft mit seltsamen Gerätschaften und aufragenden, verschlungenen Gebilden, deren Sinn er nicht begriff. Flackerndes Licht spiegelte sich auf stumpfen Metall, brach sich in Glas und Kristall komplexer Anordnungen und Apparaturen. Es zischte aus Nischen und Ecken, Dampf stieg auf, Feuer gloste.
Der Homunkuluskörper lag aufgebahrt auf der Oberseite eines verschlungenen Blocks aus metallischen Formen, der Auric, als er dorthin empor kletterte, vorkam, als bestiege er das stählerne Herz eines gigantischen Wesen, in dem sich ebenfalls metallene Parasiten, eingenistet hatten, die nun in einem wuchernden Stachelwerk ihre vielfach gegliederten Spinnenbeine aus dem Inneren hervortrieben, um ihren Wirt wie mit ihrem Gestrüpp zu umstricken.
Eine Unzahl dieser stählernen Arme spreizten den aufgeschnittenen zerhackten Homunkuluskörper auf und legten die verschiedenen Lagen seines Inneren dem Blick frei.
Nadragír, anscheinend der Herr dieses Ortes – der Kammern der Physis , wie er von Darachel und den anderen Ninraé genannt wurde – präsentierte den toten Körper und seine Mutmaßungen über dessen Natur äußerst verhalten, gemessen an seinem üblichen lebhaften, direkten Auftreten.
Auric hatte den Eindruck, dass dies nicht an seiner eigenen Person lag, sondern an der Anwesenheit der Enthravanin Viankhuan. Sie stand an ihrer Seite, neben seinen Begleitern und Führern Darachel und Siganche, wie ein lichter Fremdkörper in diesen Kammern verrauchter, verdichteter Stofflichkeit, als sei sie in ein ihr fremdes Element geraten. Eigentlich sollte sie, mit ihren verfeinerten Ninraé-Sinnen, als Erste die Veränderung in Nadragírs Verhalten bemerkt haben. Aber vielleicht war er empfänglicher für diese Verhaltensänderung geworden, weil er Nadragír in einem anderen Kontext kennengelernt hatte als sie, er dadurch mit einer Seite von ihm vertraut geworden war, die ihr unbekannt
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