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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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jemanden anzustecken, und sei es auch nur mit einer stinknormalen Erkältung, meine Wut noch weiter an.
    Während er die Türen entriegelte, warf er mir einen Blick zu, und ich wußte, daß er sehr viel beunruhigter war, als er sich anmerken ließ. »Was soll ich denn tun, Kay?«
    »Bring mich nach Haus, damit ich meinen Wagen holen kann«, sagte ich.
    Das Tageslicht schwand rasch, während ich viele Meilen an dichten Kiefernwäldern entlangfuhr. Die Felder waren fahlbraun, Baumwollbüschel klammerten sich immer noch an tote Stengel, und der Himmel war feucht und kalt wie ein auftauender Kuchen. Als ich von der Konferenz nach Hause gekommen war, hatte ich eine Nachricht von Rose vorgefunden. Um zwei Uhr nachmittags hatte Keith Pleasants vom Gefängnis aus angerufen und dringend um meinen Besuch gebeten, und Wingo war mit Grippe nach Haus gegangen.
    Im Laufe der Jahre war ich schon viele Male im alten Gerichtsgebäude von Sussex County gewesen und hatte die urige Ausstrahlung und den mangelnden Komfort des noch aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg stammenden Gebäudes richtig liebgewonnen. Der rote Backsteinbau mit den weißen Schmuckstreifen und Säulen war 1825 vom Baumeister Thomas Jeffersons erbaut worden und hatte den Bürgerkrieg überlebt. Allerdings war es den Yankees gelungen, zuvor alle Akten zu vernichten. Ich dachte an kalte Wintertage, die ich zusammen mit Detectives draußen auf dem Rasen verbracht hatte, während ich darauf wartete, in den Zeugenstand gerufen zu werden. Sogar an die Namen der Opfer, deren Fälle ich vor dieses Gericht gebracht hatte, konnte ich mich noch erinnern.
    Mittlerweile fanden solche Verhandlungen in dem geräumigen, neuen Gebäude nebenan statt, und als ich auf dem Weg zum Parkplatz daran vorbeifuhr, wurde ich traurig. Neubauten wie dieser waren ein Mahnmal für die steigende Kriminalitätsrate, und ich sehnte mich nach alten Zeiten zurück, als ich gerade nach Virginia gezogen war und die alte Backsteinarchitektur und der längst vergangene und dennoch nicht enden wollende Krieg mich mit Ehrfurcht erfüllten. Damals hatte ich noch geraucht. Wahrscheinlich verklärte ich die Vergangenheit, wie die meisten Menschen es tun. Aber das Rauchen fehlte mir, und ich vermißte es, bei miesem Wetter vor diesem so gut wie gar nicht beheizten Gerichtsgebäude zu warten. Veränderungen führten immer dazu, daß ich mich alt fühlte.
    Das Sheriffs Department bestand aus dem gleichen weiß eingefaßten roten Backstein. Der Parkplatz und das Gefängnis waren von einem Zaun umgeben, der oben mit Nato-Draht besetzt war. Dahinter polierten zwei Gefängnisinsassen in orangefarbenen Overalls einen zivilen Polizeiwagen, den sie gerade gewaschen und gewachst hatten. Sie beäugten mich verstohlen, als ich davor parkte, und einer versetzte dem anderen einen Klaps mit dem Autoleder.
    »Yo. Alles klar?« murmelte einer von ihnen in meine Richtung, als ich vorbeiging.
    »Guten Tag.« Ich sah den beiden ins Gesicht.
    Sie wandten sich ab. An jemandem, der sich nicht von ihnen einschüchtern ließ, verloren sie schnell wieder das Interesse, und ich zog die Eingangstür auf. Das Innere des Reviers war so bescheiden, daß es schon fast deprimierend wirkte, und wie praktisch alle öffentlichen Einrichtungen weltweit platzte es längst aus allen Nähten. Drinnen standen Cola- und Snack-Automaten, die Wände waren mit Fahndungsplakaten tapeziert. Auch das Foto eines Polizisten, der während eines Einsatzes brutal ermordet worden war, hatte man hier aufgehängt. Ich blieb am Tisch des Diensthabenden stehen, wo eine junge Frau in Papieren wühlte und an ihrem Stift kaute.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Ich möchte zu Keith Pleasants.«
    »Stehen Sie auf seiner Besucherliste?« Ihre Kontaktlinsen ließen sie blinzeln, und sie trug eine rosa Zahnklammer.
    »Das will ich doch hoffen, schließlich hat er mich gebeten zu kommen.«
    Sie blätterte in einem Loseblatthefter und hielt inne, als sie auf der richtigen Seite angelangt war.
    »Wie heißen Sie?«
    Ich sagte ihr meinen Namen, und ihr Finger glitt die Seite hinunter.
    »Hier.« Sie stand auf. »Kommen Sie mit.«
    Sie ging um ihren Schreibtisch herum und schloß eine Tür mit einem vergittertem Fenster auf. Jetzt standen wir in einem engen Raum, in dem Fingerabdrücke und Lichtbilder entwickelt wurden, mit einem zerbeulten Metallschreibtisch, an dem ein untersetzter Deputy saß. Dahinter befand sich eine weitere schwere, vergitterte Tür, durch die hindurch ich

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