Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
Auf und Ab seiner Kieferknochen verriet ihr, dass er über ihre Drohung nachdachte. Doch dann, den stechenden Blick weiterhin auf Ariana geheftet, gab er seinem Handlanger den Befehl: »Schlitz ihm die Kehle auf und lass ihn ein wenig bluten, bevor er stirbt.«
»Nein!«
Der Entsetzensschrei war Ariana über die Lippen gekommen, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung bemerkte. Ehe auch nur einer von de Mortaines Leuten eine Hand rühren konnte, um den grausamen Befehl auszuführen, löste Braedon sich aus dem Schatten des alten Kreuzgangs und trieb sein Pferd rasch in die Mitte des Hofs. »Davon würde ich Euch abraten, de Mortaine!«, rief er.
Die Männer erstarrten, als Braedon sein Pferd unweit des Feuers zum Stehen brachte. Er hob die linke Hand, in der er den langen Riemen einer braunen Ledertasche hielt. Im flackernden Feuerschein hing die prall gefüllte Tasche wie ein verlockender Köder in der Luft. In Wirklichkeit enthielt die Ledertasche nicht mehr als Braedons verschmutzte Kleidung und ein paar kleine Steine, die sie früher am Tag beim Holzsuchen für das Feuer gesammelt hatten, das nun den Innenhof der alten Abtei und Silas de Mortaines ungläubigen Blick erhellte.
Mit einem verächtlichen Laut befahl de Mortaine dem Wächter, die Klinge nicht von Kenricks Hals zu nehmen. »Sieh an … , le Chasseur. Zugegeben, ein guter Trick, obgleich ich nicht allzu erstaunt bin. Ferrand ließ mich vor einiger Zeit wissen, dass Ihr noch am Leben seid. Ein Wunder zweifellos, wenn man bedenkt, in was für einer Verfassung Ihr wart, als wir einander zuletzt begegneten. Und ein Versehen meinerseits. Es wird mir ein Vergnügen sein, dafür zu sorgen, dass Euch diesmal der Teufel holt.«
»Braedon«, wisperte Ariana und deutete mit den Augen auf einen von de Mortaines Männern, der heimlich eine Armbrust vom Sattelknauf gelöst hatte und nun auf seinen Schoß legte.
»Er sollte besser vermeiden, einen Schuss in meine Richtung abzugeben«, erwiderte Braedon, den Blick noch immer auf de Mortaine geheftet. »Eine falsche Bewegung, und diese Tasche geht in Flammen auf.«
»Ihr blufft nur, le Chasseur.«
De Mortaine war so ruhig, dass Ariana das Gefühl beschlich, eine unsichtbare Klaue würde sich um ihre Kehle legen. Sie schluckte schwer, versuchte ihre Besorgnis zu verdrängen und sich zu bemühen, den Mut nicht zu verlieren. Falls man Braedons Trick durchschaute, würde keiner von ihnen die Nacht überleben. De Mortaines heiteres Lachen verstärkte ihre Furcht noch.
»Nur ein Narr würde befürchten, dass Ihr die Tasche wirklich vernichtet. Ihr wisst ebenso gut wie ich, welchen Wert der Drachenkelch darstellt. Auch Ihr seid hinter dem Schatz her, sonst wärt Ihr nicht hier.«
Erleichtert stieß Ariana den Atem aus. Gelobt sei Gott. Er hatte den Plan nicht durchschaut.
»Übergebt uns Clairmont, de Mortaine. Lieber würde ich diese Tasche in der Asche des Feuers sehen, als dass sie Euch in die Hände fällt.« Während er sprach, lenkte Braedon sein Pferd näher an das große Feuer heran. »Lasst ihn frei. Bringen wir das Treffen hinter uns.«
»Ich werde ihn erst freilassen, wenn ich die Tasche habe. Wie es scheint, befinden wir uns in einer Sackgasse.«
Braedon schnaubte und zuckte die Schultern. »Das sehe ich anders.«
Er ließ den langen Ledergurt ein wenig nach unten gleiten, sodass züngelnde Flammen die Unterseite der Tasche leckten. Ein Anflug von Unsicherheit flammte in de Mortaines zuvor gefühllosen Augen auf, als er zusah, wie das Objekt seiner Begierde dem Feuer gefährlich nahe kam. Ariana biss sich auf die Unterlippe und betete inständig, Braedon möge mit seiner Täuschung Erfolg haben.
»Nehmt Kenrick of Clairmont die Fesseln ab. Ich sage es nicht noch einmal.«
»Binde ihn los«, wandte de Mortaine sich grollend an den Wächter, während er sowohl Braedon als auch die Tasche, die über den lodernden Flammen baumelte, fest im Blick behielt. Zu Kenrick gewandt sagte er: »Seht Ihr, Clairmont? Ich sagte Euch doch, ich würde sie bekommen. Aber lasst Euch gesagt sein: Mein Versprechen, das ich Euch heute Nachmittag gab, werde ich trotz allem halten.«
Ariana bemerkte die Drohung in seinen Worten und schaute ängstlich zu Braedon hinüber, der de Mortaine starr fixierte. Voller Unruhe sah sie, wie Kenricks Fesseln durchtrennt wurden und ihr Bruder langsam die langen Finger streckte. Sie hatte den auflodernden Zorn bereits in seinen blauen Augen entdeckt, ehe Kenrick dem ahnungslosen
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