Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
de Mortaine üben.«
Kenrick verstand allzu gut, dass sein Freund bittere Rache für den Tod seiner Lieben geschworen hatte, aber während des Rittes nach Somerset war ihm auch eine dunklere Seite an Rand aufgefallen. Sein Herz schien verhärtet, schwarz vor Gram und tödlicher Entschlossenheit. Er wurde innerlich von seinem Hass verzehrt, und all sein Zorn richtete sich gegen de Mortaine und diejenigen, die dem bösartigen Schurken auf der Suche nach dem Drachenkelch behilflich waren.
So kam es, dass Rand von kaum etwas anderem als seinen Racheplänen sprach. Sein Sinnen und Trachten war einzig auf Vergeltung aus, und er hatte alles begierig aufgenommen, was ihm Kenrick über seine Nachforschungen und Mutmaßungen über den Verbleib der restlichen Gefäße erzählt hatte. Er hatte geschworen, stets an Kenricks Seite zu sein – wo auch immer der Weg hinführte – , wenn sich dadurch nur eines Tages die Gelegenheit ergäbe, Silas de Mortaine zu töten.
»Jetzt sind wir schon so weit«, hob Rand hervor, und seine braunen Augen wirkten im trüben Licht des herannahenden Unwetters hart. »Ich kann nicht ruhig im Dorf schlafen, wenn ich weiß, dass sich der Schatz womöglich dort oben auf dem Hügel befindet.«
Kenrick schaute zu dem kleinen Gotteshaus auf dem Tor hinauf, wie die Erhebungen in diesem Teil des Reiches genannt wurden. Selbst von hier unten aus konnte man die Ringwälle erkennen, die sich um den Hügel herumzogen: sieben Ebenen eines Labyrinths aus Erdreich, Jahrhunderte zuvor von Menschenhand geschaffen.
Der Sage nach schlummerte ein alter König mit seinem Heer unter dem Hügel, bereit, die Krieger wieder in die Schlacht zu führen, wenn man ihn rief. Es hieß auch, vor langer Zeit habe Joseph von Arimathia den Kelch Christi genau an diesen Ort gebracht und auf dem Hügel vergraben. Wenn Kenricks Nachforschungen stimmten, so befand sich nicht der Heilige Gral auf Glastonbury Tor, sondern ein anderes heiliges Gefäß – eines, das genau zu dem juwelenbesetzten, goldenen Kelch passen würde, den er heimlich in einer seiner Satteltaschen mitführte.
Trotz der Freundschaft, die ihn mit Rand verband, hatte Kenrick seinem alten Gefährten noch nichts von Calasaar erzählt, spürte er doch, dass dieser neue Rand – dieser zutiefst verwundete Mann, der kaum noch an den kühnen Abenteurer aus glücklicheren Zeiten erinnerte – sich in seinem scharfen Urteilsvermögen von Rachegelüsten beeinträchtigen ließ.
Kenrick wusste zu genau, wie rasch der klare Verstand von Gefühlen überlagert werden konnte. Die kurze Zeit, die er mit Haven verbracht hatte, war ihm eine Lehre gewesen. Seine Schwäche für diese Frau hatte seine Suche und vielleicht auch seine Angehörigen sowie die ganze Burg in große Gefahr gebracht.
Selbst jetzt könnte sich Haven von Neuem mit de Mortaine verbünden. Immerhin wusste sie von dem Siegel, das sich nicht mehr auf Greycliff Castle befand, und nach der schmerzvollen Begegnung in Clairmont wusste sie nun ebenfalls von Calasaar. Kenrick würde es nicht auf eine weitere Fehleinschätzung ankommen lassen, aber genauso wenig war er bereit, mit anzusehen, dass Rand sich ausschließlich von seinem Zorn und nicht mehr von seinem Verstand leiten ließ.
Daher verlor er kein Wort über den Kelch in der Satteltasche und gedachte ihn erst dann einzusetzen, wenn er den Zeitpunkt für passend hielt.
»Was meinst du, Heiliger? Du gehörst doch nicht zu den Männern, die sich von einem kleinen Unwetter aufhalten lassen. Du weißt ganz genau, dass der Kelch dort oben sein kann und nur darauf wartet, von dir gefunden zu werden.«
Kenrick nahm Rands Worte mit einer Mischung aus Resignation und Stolz auf. Es stimmte: Wenn er, Kenrick, einmal ein Ziel vor Augen hatte, konnte ihn nichts und niemand davon abbringen. Sein Gefühl sagte ihm, dass einer der Steine des Drachenkelchs tatsächlich auf dem Tor auf ihn wartete, in greifbarer Nähe, glaubte er doch beinahe die Kraft zu spüren, die von dort oben zu ihm und Calasaar ausstrahlte.
Er war so dicht dran – dessen war er sich ganz sicher.
Rand gab ein wissendes Glucksen von sich und schlug Kenrick auf die Schulter. »Wir treffen uns dort oben, mein Freund.«
Mit forschem Schenkeldruck setzte Greycliff sein Pferd wieder in Bewegung und führte es über die flachen Wiesen, auf denen sich kurz vor dem Regen Nebelschwaden bildeten.
Kenrick ließ seinen Gefährten einige Längen vorausreiten, ehe auch er sein Pferd antrieb. Wenn man gut
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