Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
gesammelten Kräutern über den Arm.
»Sehe ich so gut aus?«
Haven nickte zustimmend. Ariana sah so frisch und verheißungsvoll wie die Morgenröte selbst aus. Nicht, dass Braedon eine makellose äußere Erscheinung von seiner Gemahlin erwartete. Haven hatte Ariana und ihren Gemahl nun schon einige Male zusammen gesehen, daher glaubte sie, dass der Ritter mit dem rabenschwarzen Haar seine blonde Frau auch dann noch mit einem strahlenden Lächeln in Empfang nähme, wenn sie ihn in Lumpen begrüßen würde.
Ariana machte einige beschwingte Schritte, ehe sie stehen blieb und sich zu Haven umwandte. »Und, kommt Ihr?«
Sie konnte kaum ablehnen, obwohl sie es gern getan hätte. Der Gedanke, Kenrick nach ihrem Besuch in seinem Gemach wiederzusehen, löste ein eigenartiges Flattern in ihrem Bauch aus.
Während sie neben Ariana herging, strich sich Haven unwillkürlich die Röcke glatt, die, wie sie mit leichtem Schrecken feststellte, Schmutzflecken und Spuren von Beeren aufwiesen, die sie gesammelt hatte. Auch ihre Hände waren nicht sauber und hatten hier und da rote Flecken von dem Beerenobst. Ihr Haar widersetzte sich der Strenge des schlichten Zopfes, den Ariana am Morgen zu flechten versucht hatte. Der leichte Wind spielte mit einzelnen widerspenstigen Locken, die sich gelöst hatten und von Haven daher immer wieder hinter die Ohren gesteckt werden mussten.
Doch schon bald hörte sie auf, sich um eine ansprechende äußere Erscheinung zu bemühen. Mit emporgerecktem Kinn ließ sie ihr unbezähmbares Haar so, wie es war, klammerte sich an den Griff ihres Korbs und machte sich keine Gedanken mehr über ihr Aussehen, ahnte sie doch, dass sie ohnehin nicht mit Arianas strahlender Schönheit würde mithalten können. Das brauchte sie gar nicht erst zu versuchen.
Schließlich, so sprach sie zu sich selbst, brauchte sie vor niemandem einen guten Eindruck zu machen.
Diesen Gedanken verinnerlichend, folgte Haven Ariana entlang der hoch aufragenden östlichen Mauer des Burgfrieds, bis sie den inneren Burghof erreichten. Sosehr sie sich auch bemühte, unbeeindruckt zu bleiben, es fiel doch schwer, den Blick von Kenrick of Clairmont zu wenden, der neben seinem weißen Streitross stand, in ein leuchtendes Kettenhemd und einen Wappenrock aus dunkelblauer Seide gekleidet.
Der stattliche Anblick raubte ihr schier den Atem, und jetzt nahm Kenrick den Helm und die Haube aus Kettengeflecht ab. Hatte sie ihn bereits für einen ungemein gut aussehenden Mann gehalten, wenn er grübelnd an seinem Schreibpult saß, so war diese neue Seite an ihm – der golden erstrahlende Krieger – wahrlich atemberaubend.
Er machte einen großartigen Eindruck. Und das in einem Maße, dass Haven beinahe einen sehnsuchtsvollen Seufzer ausgestoßen hätte.
Da kam es ihr gerade entgegen, dass Ariana in diesem Moment einen kleinen Freudenschrei ausstieß und ihrem Gemahl in die weit ausgebreiteten Arme lief. Braedon hob sie hoch, als wiege sie überhaupt nichts, und drehte sich mit ihr im Kreise. Sie tuschelten miteinander und küssten sich dann so innig, dass Haven schon glaubte, die beiden Liebenden würden den Kuss gar nicht mehr unterbrechen.
Schließlich wandte sie anstandshalber die Augen von dem sich zärtlich umarmenden Paar ab, doch da fing Kenrick sogleich ihren Blick ein.
»Wünsche einen guten Morgen, Haven.«
»Mylord«, erwiderte sie den Gruß mit einem höflichen Nicken.
Er nahm ihre Gestalt von Kopf bis Fuß in sich auf und maß Haven mit einem langen Blick, der ein eigenartiges Kribbeln in ihr auslöste. »Wie ich sehe, seid Ihr heute im Garten gewesen.«
Sie zwang sich, nicht an ihrem Rock hinabzuschauen, der mit Obstflecken besprenkelt war, und rechnete fest damit, dass Kenrick jeden kleinen Makel ihrer äußeren Erscheinung mit tadelnden Blicken quittieren würde. Doch dem war nicht so, denn als sich ihre Blicke erneut trafen, lag in seinen Augen eher Neugierde. Vielleicht auch noch etwas anderes. Aber Haven war sich nie sicher, wie sie die stoische Miene des Burgherrn deuten sollte.
»Offenbar gibt es heute Abend Kapaune in Sahnesoße«, meinte sie. »Lady Ariana und ich haben Rosmarin und Fenchel für das Rezept gepflückt.«
Er trat vor und streckte die Hand nach dem Korb aus. Den Rand des Weidenkorbs mit einem kräftigen, eleganten Finger herunterdrückend, warf er einen Blick auf den Inhalt. »Und Holunderblüten?«
»Ja, für die Nachspeise.«
Als er die hellen Blüten aus dem Korb nahm, entsann sich Haven der
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