Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
Worte sprach, und sein Blick verdunkelte sich; in seinen Augen brannte ein solches Begehren, dass ihr die Knie weich wurden.
Zärtlich beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie erneut.
Waren die Begegnungen zuvor noch von einer kaum bezähmbaren Leidenschaft bestimmt gewesen, so näherten sie sich jetzt, da sie beide genau wussten, wohin die Zärtlichkeiten unweigerlich führen mussten, geradezu behutsam einander an, mit langsamen, beinahe zögernden Gesten der Vertrautheit. Und doch barg gerade die Zurückhaltung ein umso heißer brennendes Begehren.
Eine ganze Weile hielten sie sich in dieser Weise, küssten sich und genossen die weichen Lippen, während die Brise durch die Fenster wehte und die Sonnenstrahlen sie wie warme, lange Finger umfingen.
Haven verlor sich ganz in der Wonne, die ihr Kenricks Lippen bereiteten, schwelgte in der kraftvollen Ausstrahlung des Mannes, der sie nun fest an sich drückte. Doch Kenrick war geduldig und zärtlich, obwohl sie die Glut in seinem Blick wahrnahm und spürte, wie stark ihn das Verlangen jetzt durchpulste.
Er begehrte sie; daran gab es keine Zweifel. Aber er ließ ihr auch Zeit, und Haven vermochte sich keinen stärkeren Zauber vorzustellen als die zärtliche Zurückhaltung, mit der er sie in diesem Augenblick zu verführen wusste.
In ihrem Kopf drehte sich alles, ihr ganzer Leib schien durch die machtvollen Empfindungen, die Kenrick nur mit diesem einen, nicht enden wollenden Kuss in ihr hervorrief, in Schwingung zu geraten. Fest und warm ruhten seine Finger an ihrem Hals, während er sie enger an sich zog. Ganz benommen von Begehren, hörte Haven kaum das Klopfen an der Tür.
»Das wird das Bad sein«, murmelte Kenrick an ihren Lippen und unterbrach den Kuss mit einem leisen Laut des Unmuts. Er sah sie unter halb gesenkten Lidern an, das Blau seiner Augen war tiefdunkel, als er einen Schritt zurücktrat und den Bediensteten zurief, sie mögen eintreten.
In kürzester Zeit hatten die Burschen den Zuber aufgestellt und mit dampfendem Wasser gefüllt. Eine Karaffe mit warmem Gewürzwein stand nun auf dem Tischchen neben dem Kamin. Die Bediensteten versahen ihre Pflicht zwar rasch und schweigend, aber allein diese wenigen Augenblicke, die Haven nicht in Kenricks Armen sein konnte, schienen eine halbe Ewigkeit zu dauern.
Und während sie so dastand und glaubte, die Trennung als Kälte zu empfinden, drängten schon wieder die düsteren Erinnerungen an die Oberfläche, klafften wie ein tiefer Schlund vor ihr und drohten, ihr den Halt zu rauben. Sie wandte sich ab, wehrte sich gegen den plötzlichen Ansturm der unwillkommenen Gedanken und aufwühlenden Erinnerungsfetzen, die sich ihrer bemächtigten, sobald Kenrick die Umarmung aufgelöst hatte.
Schließlich hörte sie, wie sich die Bediensteten leise wieder zurückzogen; das unverwechselbare Geräusch des Riegels drang an ihr Ohr, als die Tür ins Schloss fiel.
Kenricks Hand streifte ihren Nacken, als er ihr Haar beiseitestrich und die Haut entblößte … für einen zärtlichen Kuss.
»Du zitterst ja, Haven.«
»Wirklich?«
»Ja, wie ein Blatt im Wind. Wünschst du insgeheim, nicht hier bei mir zu sein? Gott, wie ich dich begehre – ich brauche dich – , aber niemals würde ich zulassen, dass du in meiner Nähe Furcht oder Kummer verspürst.«
»Nein.« Sie schüttelte schwach den Kopf. »Niemals. Es ist nur so, dass … «
»Sag es mir.« Mit dem Mund strich er ihr über die Haut unterhalb des Ohrs, und die düsteren Gedanken, die sie eben noch belästigt hatten, wurden von seiner warmen Stimme zurück in die Schatten gedrängt.
»Die Erinnerungen«, wisperte sie, und war doch kaum in der Lage zu sprechen, da Kenrick mit jeder Liebkosung seiner Finger ein wonnevolles Kribbeln in ihr auslöste – mit jeder verführerischen Bewegung seiner Lippen, mit denen er eine Spur der Hitze von ihrem Hals bis zur zart geschwungenen Schulter hinterließ. »Meine Erinnerungen sind wie ein dunkler Schatten. Sie fallen mich aus der Dunkelheit an, und dann spüre ich, wie sich ihre Klauen in meine Haut bohren, mich zu Boden zerren … «
»Hier bist du in Sicherheit«, flüsterte Kenrick. »Niemand wird dir an diesem Ort ein Leid zufügen.«
»Es gibt dort keine Sicherheit, wo mich die Erinnerungen hinführen. Das fühle ich. Und heute, als dieser Mann in der Scheune … Ich möchte die Schrecken jener Nacht nicht mehr durchleben müssen. Es schmerzt zu sehr, wenn meine Gedanken in diese Richtung gezwungen
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