Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
flink durch das Farnkraut.
Augenblicke später stand er hinter dem Mann, nur eine Armeslänge von ihm getrennt.
»Dreh dich um, Schurke, und gib dich zu erkennen.«
Der Mann erstarrte, richtete sich dann auf und drehte den Kopf ein Stück zur Seite, um zu sehen, womit man ihn von hinten bedrohte.
»Langsam umdrehen«, befahl Kenrick und drückte dem Fremden die Dolchspitze unsanft in den Nacken. »Das Spiel ist aus; lange genug bist du mir heimlich gefolgt.«
Der breitschultrige Mann machte keine Anstalten, sich zu widersetzen oder es gar auf einen Kampf ankommen zu lassen. Im Gegenteil, er zuckte beinahe nachlässig die Schultern. »Ich hätte einen besseren Weg finden sollen, dich anzusprechen, Heiliger. Aber zu viel steht auf dem Spiel. Ich musste sichergehen.«
Als er seinen alten Spitznamen hörte – und den volltönenden Bariton vernahm, den er nur allzu gut kannte – , fuhr Kenrick zusammen.
»Dreh dich um«, wiederholte er schroff, da er seinen Ohren nicht trauen wollte.
Der Mann kam der Aufforderung nach, wandte sich angesichts der Dolchspitze vorsichtig um und stand Kenrick schließlich Aug in Aug gegenüber.
»Bei Gott, Rand!«
»Ich habe dich in der Nähe des Dorfes in Devon gesehen«, sagte sein Freund. »Du und deine Begleiter, ihr hattet einen Lagerplatz im Wald ausfindig gemacht.«
»Und du bist dort gewesen?«, fragte Kenrick verblüfft.
»Im Schutz des Unterholzes habe ich beobachtet, wie du mit deinem Tross aufgebrochen bist.«
»Warum hast du dich nicht zu erkennen gegeben? Hast du mir nicht vertraut?«
»Ich brauchte Gewissheit. Denn auch ich habe die Gestaltwandler verfolgt. Ich war es, der einen von ihnen an jenem Tag verletzte. Doch er hat überlebt.«
Mit dunklem Bart, verschmiertem Gesicht und strähnigem Haar, das ihm nach all den Wochen im Freien ungeordnet um den Kopf lag, starrte Randwulf of Greycliff seinen alten Freund aus harten haselnussbraunen Augen an. Tiefe Linien hatten sich um seine Mundwinkel gegraben, die er früher so oft hochgezogen hatte, wenn ihm wieder einmal ein derber Scherz eingefallen war. Sein Gesicht war schmal geworden, ernst wirkten seine Züge, beinahe leblos, und all die Schrecken, die er zweifellos hatte durchleben müssen, zeichneten sich in seiner trostlosen Miene deutlich ab.
»Bei allen Heiligen«, entfuhr es Kenrick, als er den Dolch wieder in sein Wams steckte. »Ich dachte, du bist tot. Nach allem, was ich vor nun drei Wochen auf Greycliff Castle gesehen habe … «
Rand zuckte sichtlich zusammen. Als er wieder sprach, hatte seine Stimme einen scharfen Unterton. Kaum zu bändigender Zorn schwang in seinen Worten mit. »Sie haben meine Familie ermordet, Heiliger. Meine geliebte Elspeth ist fort. Gott, sogar mein kleiner Todd. Diese Abgesandten der Hölle, sie haben meine Frau und meinen Sohn vor meinen Augen getötet.«
»Ich weiß.« Kenrick verspürte ein Stechen in der Brust. »Es tut mir so leid, Rand, so unendlich leid. Das ist alles meine Schuld. Ich hätte dich nie in meine Suche mit hineinziehen dürfen. Hätte ich gewusst, was ich dir damit zumute … «
Rand tat Kenricks Bedauern mit einem Kopfschütteln ab. »Es war allein meine Entscheidung, dir zu helfen, Heiliger. Genauso würde ich es wieder tun. Die Schuld für das, was auf Greycliff Castle geschah, liegt allein bei einem Mann: bei Silas de Mortaine. Es war seine Rotte von Bestien, die mein Haus niederbrannte und meine Familie erschlug. Ich lebe noch und werde nicht eher ruhen, bis auch der letzte dieser Schurken meiner Klinge zum Opfer gefallen ist und de Mortaine in den Tiefen der Hölle schmort.«
Ein düsterer Schwur, den Kenrick Wort für Wort nachvollziehen konnte, denn auch er hatte dem finsteren Feind ewige Rache geschworen. »De Mortaine wird jeden Tag kühner. Seine Gestaltwandler sind bereits bis nach Clairmont vorgedrungen. Vor wenigen Tagen erst wurde einer von ihnen in einer Scheune getötet, als er versucht hat, Vieh zu stehlen.«
»Diese Gestaltwandler«, spie Rand verächtlich. »Diese Bestien und all ihre Helfershelfer müssen ausgerottet werden, jeder Einzelne von ihnen. Seelenlose Kreaturen, denn so gebärdeten sie sich während des Überfalls auf meine Burg. Unterstützt wurden sie von einem Verbündeten, dem es gelungen war, sich Tage zuvor durch Lügen und Täuschung in meine Burg zu schleichen. Wir haben gar nicht gemerkt, dass sie kamen, Heiliger. Sie ließen uns keine Chance – es waren mindestens sechs, und sie fielen mitten in der Nacht
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