Der Kelim der Prinzessin
sich zu Eigen machten, als wäre es der gottgegebenen Intuition des erhabenen Dschingis-Khan in personam entsprungen. Der »Große blaue Himmel« selbst hatte eingegriffen, als Khazar sie in die Verbannung nach Schaha hatte führen sollen, die Templer hatten sie aus der Hand der brutalen Wegelagerer befreit. Was, zum Teufel, war in den Bretonen gefahren, dass er diese Zeichen nicht erkannte und das Rad des Schicksals zurückdrehen wollte?! Dass er so weit ging, ihr Speis und Trank zu vergiften?! Doch als Yeza merkte, dass es mit ihrem leiblichen Befinden nicht mit rechten Dingen zuging, war ihr Wille schon gebrochen. Sie ließ es mit sich geschehen. Yves hätte sich ihr auch als Mann nähern können, um sie zu bespringen wie eine Stute, aber das tat er nicht. Yves hielt sich fern von ihr wie ein Mönch, wie ein eifernder Dominikaner, denn verbissen kümmerte er sich einzig darum, dass ihr willenloser Zustand anhielt. Yeza war in eine gläserne Traumwelt eingetaucht, weißes, helles Licht umgab sie, doch ihr Verstand arbeitete weiter, wenn auch ohne jedes Aufbegehren, ohne festes - noch so fernes Ziel.
Umso erstaunter war Yeza, als eines Tages ein älterer, hagerer Tempelritter ihr Gemach betrat. Sie erinnerte sich an seine auffällig krächzende Stimme. Er stellte sich nicht vor, sondern sagte nur, dass die ehrwürdige Marie de Saint-Clair ihn schicke - das war die Grande Maitresse -, um ihr, Yeza Esclarmunde, mitzuteilen, dass dem Vorhaben des Bretonen nicht stattgegeben wurde, sie also nicht besorgt sein müsse, nach Schaha verbracht zu werden. Yeza erinnerte sich, dass sie den Ritter fragen wollte, was denn stattdessen mit ihr geschehen sollte, aber sie brachte die Frage nicht über die Lippen. Von da an ertrug sie die Fesseln des Giftes in ihren Adern noch gleichmütiger. Sie empörte sich nicht über die nächtliche Verbringung auf das Schiff, überstand wütenden Sturm und tosende Wellen ebenso wie das abrupte Auflaufen des Seglers im Ufersand. Das leichte Schaukeln eines Ruderboots in der Brandung versetzte sie lediglich in wohlige Erregung. Sie wusste sich auch nach dem Verlassen des gestrandeten Schiffes von Templern umgeben, vernahm beruhigenderweise das heisere Krächzen des
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Hageren, den sie als ihren eigentlichen Beschützer ansah. Willig ließ sie sich in ihrer Sänfte vom Meeresstrand weg zu den im Hintergrund aufragenden Bergen tragen.
Für Yves und die ihn und die Sänfte begleitenden Ordensritter war der Marsch durch die Wüste ein weniger angenehmes Unterfangen. Sie hatten das kastenförmige Gestell zwischen zwei Pferden eingehängt, die fehlten ihnen somit zusätzlich als Reittiere. Auf den anderen saßen sie zu zweit, doch die meisten von ihnen mussten zu Fuß gehen. Sie hatten kaum die baumbestandene vorgelagerte Hügelkette erreicht, als sie im Süden, am Fuß des Berg Karmel, unvermittelt einen starken Trupp bewaffneter Reiter herankommen sahen. Es war die Vorhut des Mameluckenheeres, das von dem Angebot der Regierung zu Akkon überraschend schnellen Gebrauch machte und mitten durch die Länder der Franken zog. Die Tempelritter hatten aufgrund ihrer guten Beziehungen zu Kairo zwar bei einem Zusammentreffen mit den Truppen des Sultans normalerweise nichts zu befürchten, aber in Anbetracht des Umstandes, dass sie die Prinzessin Yeza transportierten, beschwor Yves seine Begleiter, sich bedeckt zu halten. So kauerten sie im Schutz des Unterholzes und hofften nur, dass von den Reitern keine ausschwärmen und das kleine Häuflein aufstöbern würden. Doch die Vorhut hielt sich dicht an der Küste und machte keine Anstalten, von ihrer Stoßrichtung auf Akkon abzuweichen.
Yves nutzte die Pause und erlaubte Yeza auszusteigen, auch reichte er ihr zu trinken aus seinem eigenen Beutel.
Die Ritter, von denen nur der Hagere wusste, dass Yeza mit jedem Schluck aus dem kis auch wieder jenes Gift verabreicht bekam, das sie während der gesamten bisherigen Reise so folgsam, ja teilnahmslos erscheinen ließ, betrachteten die zarte Figur der Prinzessin voller Ehrfurcht. Viele empfanden Mitleid mit der bleichen jungen Frau, die anscheinend leidend war, aber ihre Krankheit tapfer ertrug. Der Bretone hatte fürsorglich eine Decke ausgebreitet, und darauflegte sich Yeza nieder und fiel bald in totenähnliche Starre.
Yves wollte sie gerade behutsam auf seine kräftigen Arme nehmen, um die Ohnmächtige wieder in die Sänfte zu betten, als
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eine Kamelkarawane in den Hügeln erschien und die Lagernden
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