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Der Kelim der Prinzessin

Der Kelim der Prinzessin

Titel: Der Kelim der Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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eine geeignete Fläche senken, die zuvor hastig von allen störenden Gesteinsbrocken gesäubert worden war. Langsam wurde das Prachtstück aus Täbriz entrollt, El-Aziz schaute neugierig zu, denn er wusste ja genauso wenig wie die Kameltreiber der Karawane, wie sein Koch und der Meister des Bades das Innere gestaltet hatten, das der Prinzessin als Kokon gedient hatte, aus dem sie jetzt als Schmetterling entsteigen würde.
    Die Treiber rollten und rollten. Schließlich kamen die Körbe in Sicht, es waren sechs in einer Reihe, je zwei einander mit der Öffnung zugewandt, umgeben waren sie von langen Bambusrohren, die durch das Flechtwerk der Körbe gestoßen waren und so dem Ganzen die Wirkung einer luftigen Röhre gaben, die sich nahezu über die gesamte Breite des Kelims erstreckte. In allen drei riesigen Fischreusen steckten Menschen. Die beiden hinteren wurden als Erste auseinander gezogen, aus der einen hüpfte recht fidel der stämmige Meister des Bades, während man den hageren Koch der Köche nur mit Mühe aus seinem Käfig zerrte und halten musste, als man ihn auf seine wankenden Beine stellte. Beide grinsten mehr oder minder verlegen ihrem überraschten Herrn zu. Doch El-Aziz' Augenmerk war einzig und allein auf Yeza gerichtet. Er sprang auf und trat näher. Jetzt sah er auch, wie die Rohrflöten funktionierten: In die langen, ineinander gesteckten Bambusstangen waren jeweils in der Position des Kopfes reichlich Löcher gebohrt, durch die die Eingeschlossene Luft saugen konnte, wenn es ihr zu stickig wurde. Angenehm war es sicher nicht! Die Prinzessin war von Kopf bis Fuß in die dicken Seidenkissen verpackt, dann mit den Damastlaken umwickelt, wie eine Mumie, nur das Gesicht hatten die findigen Künstler frei gelassen, doch zu El-Aziz' Schrecken schien alles Leben aus ihr gewichen. Behutsam löste der immer noch zitternde Koch der Köche
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    die Bandagen, während der behende Meister des Bades aus einem kleinen Flakon Yeza eine Essenz auf Mund und Nase tröpfelte. Es vergingen bange Sekunden, vor allem der schlotternde Koch starrte gebannt auf das blasse Gesicht - plötzlich riss Yeza die Augen auf, El-Aziz, dem edlen Retter, fiel ein Stein vom Herzen, groß wie ein Granitbrocken im Gebirge! Die letzten Lagen aus seidenen Kissen, die sie wohl vor Stößen bewahren sollten, wurden entfernt und Yeza vorsichtig von den starken Armen des Eunuchen hochgehoben. Als sie endlich wieder auf eigenen Beinen stand, schaute sie sich nur kurz erstaunt um. Dann entdeckte sie El-Aziz, der sie beglückt anstrahlte. Er hatte ein Amulett, das er um den Hals trug, hervorgezerrt und hielt es Yeza auffordernd hin.
    »Dies zum Beweis«, tönte er voller Stolz. »Ich bin der Sohn und Erbe des Sultans von - «
    Noch leicht schwankend, den Teppich keines Blickes würdigend, ging Yeza auf ihn zu, holte aus und schlug El-Aziz mit voller Wucht ins Gesicht, dass dem Hören und Sehen verging und er taumelte. Ungerührt betrachtete sie seine schmerzverzogenen, völlig verdatterten Züge. Dann fiel sie ohnmächtig dem hinzugesprungenen Meister des Bades in die Arme.
    Aus der Chronik des William von Koebr uk
    Ich erwachte - immer noch ungewaschen und in meiner verdreckten Kutte auf meinem Bett hingestreckt - nicht von der Sonne, die mir durch das Fenster darüber ins Gesicht schien, sondern vom knirschenden Geräusch des Sandes, mit dem mein krausköpfiger Diener und Kerkermeister die leeren Pergamentblätter aufraute. Er stapelte sie mit vorwurfsvoller Miene auf meinem unbenutzten Schreibpult und beschwerte sie, um sie glatt zu halten, mit einem faustgroßen Kieselstein. Die Kerzen in dem siebenarmigen Leuchter daneben waren allesamt niedergebrannt.
    »Mir ist noch nichts eingefallen«, murmelte ich zu meiner Entschuldigung und stemmte mich von meinem Lager hoch. »Der
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    Anfang ist immer das Schwerste - « Besser als jede Verteidigung meiner Säumigkeit war es, gleich zum Angriff überzugehen. »Außerdem habe ich Hunger!«
    Der Mohr sah mich recht gelassen an und wies auf das frisch aufgefüllte Tintenfässchen nebst frisch geschnittenen Federkielen. »Ein Chronist, der nicht schreibt«, griente er mit stets gleichbleibender Freundlichkeit, »erwirbt ein umso größeres Anrecht auf ein reichliches Frühstück!« Er begab sich zur Tür und winkte mir mit dem Finger wie einem ausgehungerten Kater, als hätte er ein Schälchen Milch in der Hinterhand.
    »So ist es der Brauch auf Mauclerc - für Faulpelze und Verstockte!«, fügte er

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