Der Kelim der Prinzessin
Worte zu fassen,
»ob die kleinen Könige uns noch lieben?«
DAS ANSEHEN DES EL-AZIZ hatte in den Augen der Nomaden einen nicht einmal mehr durch Blut
abzuwaschenden Schaden genommen. Der Schlag ins Gesicht von der Hand einer Frau war letztlich - allein als Gedanke - derart unvorstellbar, dass er Yeza wie durch einen mächtigen Zauber in die Stellung einer Priesterkönigin katapultierte, weit erhaben über Sitte und Ehre des Gezüchtigten und auch aller tief erschütterten Zeugen des Vorfalls. El-Aziz hingegen stürzte schlagartig aus dem Sattel eines Sultanssohns vor die Hufe des Gesetzes der Wüste. Niemand sprach ihn mehr an, selbst der willfährige Meister des Bades und sein ihm ergebener Koch der Köche vermieden es, das Wort noch an ihn zu richten, sondern hielten sich devot an die
»Erhabene Prinzessin«. Yeza jedoch hatte das Mitwirken der beiden an dem Komplott längst durchschaut und zeigte ihnen die kalte Schulter. Sie ritt alleine der Karawane voraus und duldete niemanden neben sich. Dass die Kamele der Nomaden hinter ihr den wieder eingerollten Kelim trugen, interessierte sie nicht. El-Aziz mochte ihn zu den Mongolen schleppen, um damit die Huld des Il-Khan wiederzuerlangen. Genauso gut hätte er sich seiner unterwegs in der Wüste entledigen können oder dem Nächstbesten schenken, der des Weges kam. Für sie existierte der Teppich nicht mehr, noch weniger als ihr unglücklicher >Befreier<, der wie ein Ausgestoßener hinterdrein trabte.
So erreichten sie den Tigris, fanden auch einen Fährmann, der sich jedoch weigerte, die schwere Teppichrolle auf sein Floß zu
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laden, das gewisslich allein unter ihrer Last - auch ohne die Kamele - absaufen oder kentern würde. Doch weder die Nomaden, geschweige denn Yeza, kamen dazu, den besorgten Mann zu überreden, denn von hinten drängelte sich plötzlich El-Aziz durch, riss seinen Scimtar aus der Scheide, sprang den Fährmann an wie ein Löwe, nur, dass er ihm statt seiner Zähne die Klinge an die Gurgel presste. Die Nomaden verhielten sich auch jetzt völlig indifferent; dem Hals entströmte bereits Blut, denn der gedemütigte Sultanssohn hatte bei dem Ausbruch angestauter Wut seine Schwerthand nicht unter Kontrolle, sie zitterte, und der scharfe Stahl schnitt sich immer tiefer in die gespannte Haut.
»Weder du Hurensohn«, schrie er ihn mit überschlagender Stimme an, gemeint war aber Yeza, die der Szene ostentativ den Rücken zuwandte, »ihn al ahira! — noch sonst wer werden mich hindern, dich zur Hölle zu schicken, wenn du nicht auf der Stelle - «
»Ich!«, sagte Yeza deutlich vernehmbar, ohne sich umzuwenden. »Lass ihn los -«
»Du, du -!«, stammelte El-Aziz, er brachte das Wort »Hure« nicht über die Lippen, schon weil sein verwirrter Geist, fieberhaft um seine verletzte Männlichkeit kreisend, krampfhaft nach einem Schwenk suchte, der ihn wieder in seine Rechte als Herr über dieses Weib einsetzte. »Küss mir die Füße«, zischte er sie an, »sonst -«, der Druck seiner Klinge ließ jetzt das Blut in Strömen aus der Wunde fließen.
»Komm her und hol dir, wonach es dich verlangt«, sagte Yeza, mit geradezu unterwürfiger Freundlichkeit, und drehte sich langsam zu ihm um. Sie tat ein Übriges, sie beugte das Knie und senkte ergeben ihren Blick. El-Aziz ließ sein Opfer keineswegs fahren, aber er löste seinen Scimtar von dessen Hals und trat mit der blutigen Waffe fuchtelnd auf Yeza zu, den malträtierten Fährmann an den Haaren hinter sich herzerrend. Um seinen Triumph für alle sichtbar zu machen, schlüpfte El-Aziz aus seiner Sandale und hielt Yeza den von Wüstensand und Uferschlamm verdreckten Fuß hin, gleichzeitig seine Klinge drohend erhebend. Die Nomaden verharrten schweigend.
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»Leck ihn sauber, Weib!«, schnaubte El-Aziz in einer Art, die er für furchterregend und vor allem respektgebietend hielt. Yezas langsamem Griff zurück zum Nacken unter ihr dichtes Blondhaar schenkte er keine Beachtung, weil sie die andere Hand demütig nach dem Fuß ausstreckte und sich zu ihm niederbeugte.
Danach ging alles blitzschnell. Ihre schlanken Finger umschlossen den kleinsten der Zehen wie die Scheren eines Krebses, rissen ihn über das gebeugte Knie, während schon ihr Dolch aufblitzte und geschwinder, als selbst die gebannt starrenden Nomaden es wahrnehmen konnten, einen Schnitt über den Handrücken seines Schwertarms zog. Mit einem Schrei ließ El-Aziz den Scimtar fallen und stürzte vorwärts, über die abgeduckte Yeza
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