Der Kelim der Prinzessin
hinweg.
Als er versuchte, sich aufzurichten, stand sie schon über ihm, auf seiner Hand und hielt den Scimtar in einer Weise, die keinen Zweifel ließ, dass sie mit ihm umzugehen wusste und auch kaum zögern würde, es unter Beweis zu stellen. El-Aziz blieb also liegen, mit dem Gesicht im Uferschlamm.
Der zu Boden geschleuderte Fährmann rappelte sich als Erster auf. »Ihr seid es, Prinzessin«, keuchte er, »die mir befiehlt!«
Yezas Blick schweifte über die Fähre zu der wartenden Karawane mit dem Teppich. »Lasst Euch verbinden«, sie winkte den Meister des Bades herbei, »und setzt mich dann über!«, entschied sie. »Und danach alle anderen, so wie sie es wünschen. Als Letztes den Teppich!« Sie warf den Scimtar verächtlich dem El-Aziz vor die Füße, und ohne sich umzuwenden, betrat sie die schwankende Fähre.
Yezas heimliche Hoffnung war, dass das Gewicht der Rolle den Kahn schlussendlich unter Wasser drücken würde und der Teppich auf Nimmerwiedersehen in den Fluten des Tigris versinken würde. Aber ihre Rechnung ging nicht auf. Bereits am jenseitigen Ufer harrend, musste sie zusehen, wie die Nomaden mit Hand anlegten und unter äußerster Kraftanstrengung die Fähre samt der Rolle durch das lehmige Wasser hinüberzerrten.
Mit aufsteigender Wut beobachtete Yeza, wie das dunkle Ungetüm die trüben Wellen des Flusses teilte und sich unaufhaltsam auf sie zubewegte, bis die Fähre endlich zu ihren Füßen im Ufer-141
schlick auflief. Danach hatte sich die Rolle derart voll gesogen, dass alle Mann nicht mehr in der Lage waren, sie auf die geduldigen Kamele zu wuchten. Also wurde der Kelim zum Trocknen ausgebreitet.
Yeza musste tagelang warten, denn die Nomaden waren einerseits nicht gewillt, den angenommenen Auftrag unerfüllt im Stich zu lassen, andererseits auch nicht bereit, die Prinzessin schutzlos in die vor ihnen liegende Wüste ziehen zu lassen. Sie betrachteten Yeza als ein übernatürliches Wesen, dem sie sich voller Verehrung unterwarfen wie einer kriegerischen Göttin, aber den Kult ihres Tempels bestimmte das langsame Trocknen des Teppichs. Sie zogen eine unsichtbare Bannmeile um ihr Zelt am Ufer, die nur der Meister des Bades und der Koch der Köche ehrerbietig betreten durften. Yeza ertrug die Zeit mit zusammengebissenen Zähnen. Sie wünschte, Rog würde zu ihr zurückfinden.
Die Nähe von El-Aziz blieb ihr hingegen erspart. Der Sultanssohn wurde gezwungen, sich abseits zu halten wie ein Aussätziger.
DIE MONGOLISCHE HUNDERTSCHAFT unter dem bewährten Hauptmann Dungai, den Kitbogha für diese
Mission ausgewählt hatte, bewegte sich zügig auf der alten Handelsstraße gen Osten in Richtung Palmyra. Nur, dass die beiden Seldschukenprinzen, die sie bis zur Grenze des Seldschukensultanats eskortieren sollte, vorne am Kopf des Zuges ritten, als seien sie die Feldherren und Speerspitze eines Kommandounternehmens. Alp-Kilidsch und der jüngere Kaikaus waren umringt von ihren eigenen Leuten, nicht vielen, aber allesamt tatendurstige Krieger. Einzig Rhaban, ihr alter Fechtmeister, sorgte immer wieder ausgleichend dafür, dass nicht mit zunehmender Entfernung vom Feldlager der Mongolen, die sie lange genug als Geiseln festgehalten hatten, es zu offenen Feindseligkeiten mit der diszipliniert nachfolgenden Hundertschaft kam. Je mehr die Freiheit der Steppe winkte, desto ungebärdiger verhielten sich
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die Prinzen. Längst hatten sie begonnen, aus dem Stand heraus zu wilden Wettrennen anzusetzen, wobei sie es nicht unterließen, im vollen Galopp aufeinander einzuschlagen, dass die Funken sprühten. Und der ihnen begeistert nachstiebende Haufen feuerte sie dabei noch an. Der Fechtmeister hatte alle Mühe, die beiden Kampfhähne immer wieder zur Raison zu bringen.
Von der Statur her waren sich Kaikaus und sein älterer Bruder ähnlich wie Zwillinge, was der Erstgeborene an Erfahrung und auch Tücke voraushatte, machte der Jüngere durch ungestümen Kampfesmut wett, der jedoch schnell in Jähzorn umschlagen konnte. Ihr Abstand zur nachfolgenden Hundertschaft vergrößerte sich teilweise derart, dass der Hauptmann fürchten musste, sie aus den Augen zu verlieren. Ihm wäre es nur allzu recht gewesen, wenn er sie auf diese Weise vom Hals gehabt hätte, doch der Befehl seines Oberkommandierenden war klar und schon kompliziert genug, denn es galt auch Palmyra, die seltsame Stadt der Derwische inmitten der Wüste, zu erkunden und wenn möglich zu einem symbolischen Akt der Unterwerfung zu bewegen.
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