Der Kelim der Prinzessin
königliche Gemahl fehlte - schuld daran waren allemal die Mongolen! -, wurde Yeza unter diesen besonderen Umständen herzlich gern nachgesehen. Viele der herbeigeströmten Beduinen versicherten Yeza ihres Mitgefühls für den Verhinderten. Zur Steigerung des Missverständnisses rückten schon die Klageweiber an, als gelte es bereits seinen Verlust hinzunehmen. Spitze Schreie der Begeisterung mischten sich mit Trauertrillern, dass keiner mehr in dem Tumult noch ein Wort verstand! Die Kinder hingegen zeigten nur das eine heftige Verlangen, die >Königin< zu berühren, ein Stück von ihr zu erhaschen, sei es einen Fetzen ihres Kleides oder ihrer Haut.
Jalal al-Sufi sah sich genötigt, die Derwische energisch aufzufordern, Yeza vor derartiger Berührung mit dem rasenden Volk zu schützen. Nur dank des Schutzschildes ihrer in Ekstase erprobten Körper gelang es dem entsetzten Rhaban, die Königin schleunigst in den Palast zu verfrachten.
Palast?! Yeza traute ihren Augen nicht. Das verfallene Gemäuer musste seit Jahren als Schafstall gedient haben, eingetrocknete Köttel bedeckten die Mosaikböden der Gemächer, gackernd und aufgeregt flatternd stoben Scharen von Hühnern aus den Fensteröffnungen, im Gebälk nisteten unzählige Schwalben, dort, wohin kein Licht gelangte, hingen ungehalten zirpende Fledermäuse von der Decke.
Yeza hatte zwar keine festen Vorstellungen von ihrem Leben als Königin, doch sie war mitnichten verärgert, eher amüsiert. Der alte Rhaban machte sich sofort als Majordomus nützlich. Unter seiner Anleitung fegten und reinigten bereitwillige Helfer das Haus, vor dem sich die Menge jetzt verlief. Yeza betrat den verwilderten Garten, wo ihre beiden Pferde und das Kamel standen. Jalal al-Sufi hatte ihr eine Hängematte zwischen schattenspendenden Bäumen
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anbringen lassen und erfreute sie mit köstlichen Gedanken seines geliebten Meisters Rumi.
»Es herrscht Nacht, sagen sie, aber ich weiß nichts von Tag oder Nacht. Das Einzige, das ich kennen will, ist das Antlitz des Einzigen, der die Himmelssphären mit seinem Licht erfüllt.«
Der kleine Sufi saß ihr zu Füßen. »Oh, Nacht, Du gibst Dich nur so dunkel, weil Du Ihn nicht kennst«, schwärmte er mit leiser, sanfter Stimme. »Oh Tag, zieh aus und lerne von Ihm, was es heißt, so hell zu scheinen-
«, verstummend hingjalal al-Sufi den Worten nach.
Zwei junge Mädchen fächerten die warme Wüstenluft zur linden Kühle. Sanft schaukelnd fiel Yeza zum ersten Mal nach langer Zeit in tiefen Schlummer.
IN DEN STALLUNGEN des fürstlichen Schlosses zu Antioch lagerten seit drei Tagen sowohl die Ritter aus Okzitanien als auch die zehn Männer, die Bohemund bereitgestellt hatte, und die fünf des armenischen Königs, allesamt mit ihren Knechten. Nur einer ließ sich nicht sehen, das war Roc. Der Warterei leid, hatten sich die Herren seines Gefolges längst in der Halle fürs Gesinde niedergelassen, gleich neben den Küchenräumen, und ließen sich von den Mägden bedienen. Es hieß, der Trencavel habe sich allein auf Erkundungsritt begeben, um sich schlüssig zu werden, in welche Richtung er sich wenden sollte, um nicht den Mongolen in die offenen Arme zu reiten. Die drei Okzitanier hielten sich abseits, schon um nicht den hinter vorgehaltener Hand aufkommenden Spott über ihren Herren ertragen zu müssen. Was die anderen nur vermuteten, sie wussten es - dank ihrer Weiber: Roc teilte seit der Abreise von Bohemund das Bett der Fürstin, die sich von Alais das Essen und reichlich gekühlten Wein in ihrer Kemenate servieren ließ. Dies waren nur die kurzen Unterbrechungen ihrer erstaunlichen Wollust, wie Alais errötend berichtete, oft wartete Frau Sybille nicht einmal ab, dass die vertraute Dienerin die Reste der hastig verschlungenen Speisen abräumte. Berenice, der Ersten Hofdame, oblag zwar nicht der Dienst in der Kemenate, aber was sie im Vorzimmer durch Tür
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und Wand hörte und den Freunden voller Sarkasmus und unverhohlener Missbilligung zum Besten gab, erregte und belustigte die Zuhörer. Doch nur eine gewisse Zeit lang, dann begannen sich die Okzitanier ernsthaft Sorgen zu machen. Aus freien Stücken würde Roc sich nicht so schnell von der Unersättlichen losreißen, also war es an ihnen, den Trencavel zu >befreien<, damit er endlich seiner Pflicht nachkam und mit ihnen Losritt, Yeza zu suchen. Diejenige, die am meisten an Rocs Minnediensten litt, war Berenice, die hochaufgeschossene, ziemlich herbe Lebensgefährtin des Terez von
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