Der Keller
Fenster - Erkerfenster, Flügelfenster, eine Fensterreihe im ersten Stock und ein einsames Fenster knapp unter einem Giebel. Sogar im Türmchen waren Fenster. Sie waren finster, kein Mondlicht spiegelte sich darin. Wie bösartige Augen, dachte er und erinnerte sich an das, was er diesen Nachmittag in sein Diktiergerät gesprochen hatte. Seine so eloquenten Sätze kamen ihm auf einmal wie leeres Gefasel vor, und plötzlich wünschte er sich nichts sehnlicher, als zurück ins Hotel zu fahren und sich in das warme Bett zu legen. Er hatte das Gefühl, durch die Fenster beobachtet zu werden.
Gorman zwang sich, den Blick abzuwenden, und starrte angestrengt erst auf das Gestrüpp vor ihm, dann auf Claires Rücken, den Schein von Martys Taschenlampe, der über Büsche, Felsen und Bäume strich. Er fühlte sich wie ein Mann, der eine dunkle Straße entlanggeht, leise Schritte hinter sich hört, Angst vor dem hat, was er sehen wird, wenn er sich umdreht, es aber dann doch tut. Also beobachtete er wieder die Fenster, und obwohl er nichts dahinter erkennen konnte, lief es ihm eiskalt den Rücken hinunter.
Morgen bei der Führung würde er das Haus betreten müssen. Allein beim Gedanken daran hatte er Angst. Vielleicht sollte er das ganze Projekt einfach aufgeben. Warum auch nicht? Seine und
Brians Gewinnbeteiligung hatte sich nach den katastrophalen Ereignissen des heutigen Abends sowieso halbiert.
Andererseits - die Hälfte einer Goldgrube war immer noch besser als nichts. Das Buch würde zweifellos ein Bestseller werden. Nach Der Schrecken von Black River Falls würde allein sein Renommee für gewaltige Absätze sorgen. Außerdem steckte in dieser Horrorhausgeschichte enormes Potenzial, dieses Projekt konnte den Erfolg des vorigen locker in den Schatten stellen, es wäre Irrsinn, es aufzugeben. Also würde er sich zusammenreißen und diese verdammte Tour mitmachen.
Am helllichten Tag würde das Haus schon nicht mehr so düster wirken. Außerdem hatte er Brian an seiner Seite, und die Eigentümer würden ihre Gäste sicher nicht irgendeiner unbekannten Gefahr aussetzen.
»Marty!«, rief Ciaire.
Ihr Mann war plötzlich losgerannt und hinter der Ecke des Zauns verschwunden. Ciaire lief ihm hinterher. »Marty!«, rief sie. »Was ist denn?«
Er antwortete nicht.
Gorman folgte den beiden. Mit einigen wenigen Schritten erreichte er die Ecke und rannte keuchend am Zaun entlang.
Was zum Teufel ist denn in die gefahren?, dachte er.
Er wollte bestimmt nicht allein hier zurückbleiben.
Während er versuchte, sie einzuholen, stieg ein vertrautes, aber lange verdrängtes Gefühl in ihm auf, ein Gemisch aus Verzweiflung und Demütigung - eine Nachwirkung bestimmter »Kinderspiele«, aus denen er viel zu oft als Verlierer und Opfer hervorgegangen war. Los, hängen wir ihn ab! Wir hängen Gory ab! Los doch! Und dann waren seine Freunde auch schon verschwunden, hatten Fersengeld gegeben und ihn allein und verlassen zurückgelassen.
Gorman wusste, dass er in diesem Fall nicht absichtlich zurückgelassen worden war. Marty musste etwas bemerkt haben. Nichtsdestotrotz wurde er dieses schreckliche, verzweifelte Gefühl nicht los. Tränen schössen ihm in die Augen, als er versuchte, mit den anderen mitzuhalten. »Warten Sie!«, keuchte er.
Plötzlich blieben Janices Eltern wie angewurzelt stehen.
Gorman hielt sich an einem der Zaunstäbe fest, holte Luft und wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Heilige Mutter Gottes«, stieß Marty hervor.
Ciaire taumelte zurück, beugte sich vor und übergab sich.
Marty leuchtete mit der Taschenlampe den Zaun hinauf.
Brians Beine baumelten herab. Er war nackt und lag auf dem Rücken. Der Körper war offensichtlich mit gewaltiger Kraft auf die schmiedeeisernen Spitzen gewuchtet worden. Gormans Schließmuskel zog sich zusammen, als er sah, wo eine der Spitzen eingedrungen war. Die Wunden sogen sich in einer geraden Linie über Brians Rücken bis zu seinem Hinterkopf entlang. Sein linker Arm stand in seltsamem Winkel ab - offensichtlich war er gleich unterhalb des Ellbogens gebrochen.
Marty leuchtete den Zaun entlang. Gorman konnte keinen weiteren gepfählten Leichnam erkennen. Der Mann wandte sich den Hügeln zu. »Janice!«, schrie er. Der Schein der Taschenlampe wanderte über Büsche und Gestrüpp, bevor er etwa zehn Meter den Hügel hinauf plötzlich verharrte.
Eine zerwühlte Decke. Verstreute Kleidungsstücke.
Ciaire kreischte den Namen ihrer Tochter und rannte auf den Hügel zu. Sie
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