Der Keller
Fahrtwind das Haar zerzausen. Ihre Bluse flatterte.
»Augen auf die Straße, Freundchen.«
»Leichter gesagt als getan.«
Sie lächelte und legte den Kopf in den Nacken. Abe betrachtete ihren Hals, die gebräunte Haut darunter und den blassen Hügel einer Brust, als der Wind ihre Bluse aufblähte.
Dann wandte er sich wieder der Straße zu. Er fühlte sich ausgezeichnet - angenehm müde und glücklicher als jemals zuvor. Und doch machte er sich Sorgen.
Es könnte doch gar nicht besser laufen, sagte er sich.
Vielleicht ist genau das das Problem.
Seltsames Problem.
Es war alles viel zu schnell gegangen, zu glatt gelaufen. Es war gerade mal vierundzwanzig Stunden her, dass er ihr zum ersten Mal ins Gesicht gesehen hatte. Obwohl ihr Gesicht da vom Blut dieses Irren bedeckt gewesen war, hatte er das Gefühl gehabt, dass er ihr schon einmal begegnet war. Nein - dass er ihr früher hätte begeg-nen sollen. Als ob sie schon immer auf ihn gewartet hätte und er nur nicht gewusst hatte, wo er nach ihr hätte suchen sollen. Es war, als hätte er einen Teil von sich wiedergefunden, den er lange vermisst hatte.
Seit ihrer ersten Begegnung hatte er nicht aufhören können, an sie zu denken. Sorge, Verwunderung und Hoffnung hatten sich abgewechselt. Gestern Nachmittag, als sie aufgebrochen war, um Dan zu suchen, war es besonders schlimm gewesen. Die Bedrohung, die von diesem Dan ausgegangen war, war nicht einmal während des gemeinsamen Abendessens völlig verschwunden. Er hatte die Nacht in einem fiebrigen Halbschlaf verbracht, den Morgen kaum erwarten können und sich doch davor gefürchtet aus Angst, sie zu verlieren.
Er nickte, als er die Quelle seiner Befürchtungen begriff: Er hatte immer noch Angst, sie zu verlieren.
Diese Angst schien unbegründet. Offenbar hatte sie sich bereits für ihn entschieden, bevor sie von Dans Schicksal erfahren hatte. Sie wollte ihn - vielleicht sogar so sehr, wie er sie wollte. Der Sex hatte eine Nähe geschaffen, die er kaum für möglich gehalten hatte. Jetzt konnte er es nicht mehr ertragen, sie zu verlieren.
Es war schon erstaunlich.
Und furchterregend.
»Du wirkst so niedergeschlagen«, sagte sie.
»Postkoitale Depression.«
Sie lachte. »Und wie lange dauert die an?«
»Wahrscheinlich bis zum nächsten Koitus.«
»Kann der bis nach dem Abendessen warten?«
»Wenns sein muss«, sagte er und bog wieder in die Beach Lane ein.
Am Ende des Feldwegs entdeckte er neben dem Lieferwagen einen großen, grauen Mercedes.
»Das ist Hardy«, sagte Tyler. »Ich frage mich, was unseren Bestsellerautor an den Strand treibt.«
Kapitel zwanzig
»Mein Vater hatte seit mehr als dreißig Jahre mit der Schuld gelebt. Doch an diesem Morgen konnte er sie nicht mehr länger ertragen.« Käpt’n Frank führte die Budweiser-Dose an die Lippen, schloss die Augen und trank mit tiefen Schlucken.
Gorman zog ein weiteres Bier aus dem Sixpack, den er gekauft hatte, um die Zunge des alten Mannes zu ölen, und öffnete es. Käpt’n Frank zerquetschte die leere Dose und warf sie auf den Boden vor dem Bus. Gorman erschien es, als würde sie eine Ewigkeit fallen.
»Da erzählte er mir die ganze Geschichte. Er wusste, dass Bobo noch am Leben war und hinter den Morden steckte.«
»Nehmen Sie doch noch eins«, sagte Gorman.
Käpt’n Frank nahm das Bier entgegen. »Herzlichen Dank«, sagte er, lehnte sich in seinem Liegestuhl zurück und nahm einen tiefen Schluck. »Ich flehte ihn an, mitkommen zu dürfen, aber er erlaubte es nicht. Er wollte, dass ich mich um meine Mutter kümmerte, als hätte er zu diesem Zeitpunkt bereits geahnt, dass er nicht zurückkommen würde. Er war ein guter Schütze, also nehme ich an, dass sich Bobo an ihn herangeschlichen hat und ihm in den Rücken gefallen ist.« Der Alte formte seine freie Hand zu einer Klaue, mit der er die Luft durchschnitt. »Genau so.«
»Wurde der Leichnam Ihres Vaters jemals gefunden?«, fragte Gorman.
»Nein, niemals. Ich nehme an, dass sie ihn irgendwo im Keller verscharrt haben.«
»Im Keller des Horrorhauses?«
»In der Tat.«
»Wenn die Bestie Ihren Vater wirklich umgebracht hat, wieso stellt die alte Kutch dann keine Wachsfigur von ihm auf?«
»Gute Frage. Wissen Sie, die alte Hexe wählt sehr genau aus, wen sie zeigt und wen nicht. Nehmen Sie zum Beispiel den kleinen Bag-ley. Sein Freund Maywood entkam und erzählte alles der Polizei. Wie hätte sie den Mord vertuschen können? Sie versucht es gar nicht erst, sondern schlägt noch ihren
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