Der Keller
sie liebte ihn immer noch und das würde sich auch nicht ändern. Trotzdem musste sie ihn töten.
Wahrscheinlich ist er gar nicht hier, dachte sie.
Aber die Möglichkeit bestand.
Irgendetwas hatte diesem Jungen auf dem Dachboden einen gewaltigen Schreck eingejagt.
Also war der Dachboden ihr erstes Ziel. Das hatte sie beschlossen, als sie noch im Whirlpool gesessen war.
Sie verließ die Küche und ging durch einen engen Korridor zur Treppe hinüber. Sie machte sich nicht die Mühe, möglichst geräuschlos die Stufen hinaufzugehen. Das Holz ächzte unter ihren Cowboystiefeln.
Sandy nahm an, dass man ihre Schritte im ganzen Haus hören konnte - mit Ausnahme des Dachbodens und des Kellers.
Sie könnten Eric warnen.
Das war auch gut so.
Sei schlau und renn um dein Leben, mein Schatz. Mami ist hier, um dich abzuknallen.
Mit festen Schritten ging sie über die Galerie und blieb vor der Tür zum Dachboden stehen.
Sie war geschlossen. Sandy löste die Seidenkordel und ließ sie zu Boden fallen. Dann drückte sie den Türgriff herunter. Niemand hatte zugesperrt. Sie öffnete die Tür bis zum Anschlag.
Die Treppe zum Dachboden war so dunkel wie ein Bergwerksschacht.
Sandy schaltete die Taschenlampe ein, nahm sie in die linke
Hand und zog ihre 9mm Sig Sauer Halbautomatik, in deren Kam mer sich bereits eine Hohlspitzpatrone befand. Sie musste nur noch abdrücken.
Dann ging sie die Treppe hinauf. Die Luft war stickig und heiß. Keuchend blinzelte sie sich den Schweiß aus den Augen. Das T-Shirt klebte an ihrem Rücken. Schweiß lief die Innenseiten ihrer Schenkel hinunter. Ihre feuchte Jeans spannte sich bei jedem Schritt über die Hinterbacken.
Hoffentlich ist er nicht da oben, dachte sie.
Bitte, lieber Gott, ich will ihn nicht umbringen. Aber ich werde es tun. Du weißt, dass ich es tun werde. Wenn du das nicht willst, dann mach, dass er nicht hier oben ist.
Sie klemmte sich die Taschenlampe zwischen die Beine und stieß die obere Tür auf. Mit quietschenden Angeln schwang sie nach innen und ließ das Licht ihrer Lampe in den Raum fallen.
Sandy trat über die Schwelle und ließ den Strahl über das schräge Dach und die dicken Stützpfeiler wandern. Staubflocken tanzten im Licht. Dann fiel der Strahl auf das zertrümmerte Gesicht der Wachspuppe von Streifenpolizist Dan Jenson.
Das Kind ist einer Bestie nicht mal nahe gekommen, dachte sie. Es hat sich einfach nur vor dem armen Dan so erschreckt.
Rätsel gelöst.
Obwohl Sandy spürte, wie die Spannung von ihr abfiel, sah sie sich weiter auf dem Speicher um. Das Licht der Lampe fiel auf alte Schrankkoffer, Pappkartons, die Figuren der beiden Zieglers, gerahmte Bilder, die an der Wand lehnten, Teppichrollen, einen uralten Rollstuhl, ein verschlissenes Sofa, einen Tisch und verschiedene andere Möbelstücke.
Und auf eine gebückte, haarige Kreatur mit wilden Augen und gefletschten Zähnen.
Es war Vincent, der ausgestopfte Affe. Ein Schirmständer aus dem neunzehnten Jahrhundert, der lange in der Eingangshalle gestanden hatte.
Sandy lächelte, als sie daran dachte, wie sich die Kinder immer vor ihm gefürchtet hatten.
Deshalb hat ihn Janice wahrscheinlich auch hier raufbringen lassen.
»Vincent! Wie geht’s, altes Haus?« Sie grinste den grässlichen Affen an. »Siehst ein bisschen zerrupft aus.«
Sein kurzes braunes Fell war noch verfilzter, als sie es in Erinnerung hatte. Wenn sie ihm jetzt auf die Schulter klopfte, würde eine Staubwolke aufwirbeln.
Er schien ihr direkt in die Augen zu starren.
Früher hatte sie immer den Zeigefinger in sein Maul gesteckt. Als Mutprobe. Sie war sich nie ganz sicher gewesen, ob ihr Vincent nicht doch den Finger abbeißen würde, auch wenn er tot und ausgestopft war. Doch wenn er es versucht hätte, wäre ihm vermutlich der Kiefer abgefallen.
Schon komisch - die Mäuler lebender Bestien hatten Sandy keine Angst eingejagt, wohl aber die morschen Zähne des armen alten Vincent.
»Ich hab keine Angst mehr vor dir«, flüsterte sie.
Sie ging in die Hocke und legte die Pistole auf den Boden.
»Du würdest doch deine alte Freundin nicht beißen, oder?«
Vincent starrte sie zornig an.
»Das würde ich dir auch nicht raten«, warnte sie ihn.
Dann steckte sie ihm den Zeigefinger ins Maul.
Und kreischte auf, als sie von hinten im Schritt gepackt und in die Luft gehoben wurde. Die Taschenlampe fiel ihr aus der Hand, und ihr Kopf prallte gegen einen der Stützpfeiler. Als das Licht ausging, spürte sie, wie sie auf den
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