Der Kimber 1. Buch: Ehre (German Edition)
jede Welle des Bodens warf einen langen Schatten, was das Land in einen scharfen Wec h sel von Hell und Dunkel tauchte. Lucius schien es e i nen Moment lang so, als wäre die Stadtmauer ein ga n zes Stück weiter in die Ebene hineingerückt. Die Sonne stieg schnell, und ihr Licht gewann an Kraft. Er e r kannte, dass die dun k le Masse, die er für Teile der Mauer gehalten hatte, eine ries i ge Schar Reiter aus der Stadt waren. Nun wusste er, weshalb der Ausfall sich so lange verz ö gert hatte: die Truppen Jugurthas hatten gewartet, bis sie in einer mondlosen Nacht unbemerkt auf die Ebene kommen und Aufstellung beziehen konnten. Aus dem Augenwinkel sah Lucius eine Bew e gung des Unteroffiziers, die er für das Zeichen zum A n griff hielt. Er riss sein Schwert hoch, brüllte Unve r ständliches und galoppierte auf die unscharfe Masse numidischer Reiter zu. Ein Gebrüll aus Tausenden Kehlen antwortete ihm, und eine Schrecksekunde sp ä ter starteten seine Gefolgsleute.
Als hätte er plötzlich die Fähigkeit bekommen, das Geschehen verlangsamt wahrzunehmen, erkannte L u cius Einzelheiten der auf ihn zudonnernden Gegner. Sie waren in blaue und weiße Umhänge gehüllt und schwangen Schwerter, die länger waren als die röm i schen Waffen. Ihre Pferde waren nicht allzu groß, aber kräftig und schnell. Lucius wusste nicht, in welchem A b stand ihm seine Reiterei folgte, doch er hatte das deutliche Gefühl, dass er sich zu weit vorg e wagt hatte, dass er völlig isoliert dem Ansturm entgegen ritt. Auf der Stadtmauer waren B o genschützen aufgetaucht und ließen einen Hagel von Pfeilen auf die Ebene niederg e hen. Jetzt e r kannte Lucius, dass er sterben würde. In seiner Unerfahrenheit würde er in seinem ersten G e fecht niedergemacht werden, und die Hufe der kleinen Pferde würden seinen Körper in den Sand der Eb e ne stampfen. In derselben Sekunde wurde ihm nun der Grund für seine überraschende Bevorzugung klar: M a rius hatte genau damit gerechnet. Er würde ihn loswe r den und auch noch einen weitern Beweis aristokrat i scher Unfähigkeit in die Hand beko m men. Er lachte lauthals, als ihm das bewusst wurde. Im selben Moment hatte ihn der erste der gegner i schen Reiter erreicht. Die Schwerter trafen mit vo l ler Wucht aufeinander, doch Lucius hatte das G e fühl für die Gefahr verloren. Ein Wutanfall hatte ihn gepackt, und jeder, der ihm in die Quere kam, war ihm als Ventil willkommen. Er schlug wild um sich, als könnte er damit einen ganz anderen Feind niedermachen, und doch wäre er dem erfahren e ren Gegner unterlegen, wenn ihm nicht die Reiter aus den eigenen Reihen beigesprungen wären.
Obwohl seine Dummheit offensichtlich war, hatte sein wütender Angriff ein Beispiel gegeben, und die Gefahr, in die er sich begeben hatte, hatte den Mut der übrigen angestachelt. Keiner wollte hinter L u cius zurückstehen oder seinen Untergang zu ve r antworten haben. Die Männer stürzten sich auf die Reiter Jugurthas und ac h teten weniger auf ihre eigene Deckung als auf jede Bl ö ße, die sich der Gegner gab. Bald war der Tumult völlig unb e herrschbar, und das Chaos wurde durch die led i gen Pferde, die versuchten, sich nach irgendeiner Ric h tung aus dem Gewühl zu befreien noch unübe r sichtl i cher. So heftig der erste Angriff der jugurth i nischen Truppen auch gewesen war, die römischen Reiter zeichneten sich durch größere Ausdauer aus, wodurch sie bald den Gegnern entscheidende Ve r luste beig e bracht hatten. Nachdem die ersten heft i gen Zusa m menstöße ausgefochten waren, kämpfte die numidische Reiterei in der Defensive und kon n te nur noch den Rückzug zu decken. Dadurch wu r de der Raum frei für die Fußsoldaten, die nun in Richtung auf die Stadt vo r dringen konnten. Die Legionäre hoben die Schilde über die Köpfe um den Pfeilhagel abzuhalten und rannten durch den ung e deckten Raum der großen Ebene auf die Stadtma u er zu.
Die numidische Reiterei war geschlagen oder g e flüc h tet, es waren zu wenig Verteidiger in den Mauern z u rückgeblieben um Cirta halten zu kö n nen. Der Wide r stand, den die Römer zu übe r wi n den hatten, war heftig, konnte aber nicht lange au f rechterhalten werden. Die Reste der Stadtmauern wurden geschleift, und die L e gionäre drangen ein. Sie richteten ein Massaker unter den Besatzern an, doch zu plündern fanden sie nichts. Cirta war eine geisterhafte Ruine.
Vor den Toren der Stadt hatten sich die letzten n u mid i schen Reiter vor den Verfolgern
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