Der Kimber 1. Buch: Ehre (German Edition)
Eindrücke auszuschalten und sich auf das weiße Flimmern des Lakens zu konzentri e ren. Fjörm schien mit ihm zufrieden zu sein, obwohl er niemals einen Ko m mentar zu den Bildern abgab, die Agnar im Gewirr der Buchenstäbe zu e r kennen glaubte.
Tatsächlich war der alte Priester tief beeindruckt von den Visionen seines Großneffen, die bei richt i ger Les e art regelmäßig den Kern der Ereignisse der näheren Zukunft getroffen hatten. Dem Jungen gegenüber ve r mied er es, Lob oder Kritik ausz u sprechen, denn er befürchtete, Agnar könnte die traumwandlerische S i cherheit seiner Intuition ve r lieren und versuchen, a b sichtlich Geschichten z u sammenzufabulieren, um ihn zu beei n drucken . Wid betrachtete die Unterricht s stu n den mit höchstem Missfallen. Es fiel ihm schwer, seine Kr i tik für sich zu behalten. Da Fjörm ihm aber so deu t lich den Mund verboten hatte, b e schränkte er sich da r auf, Agnar bei passenden Gel e genheiten seine Abne i gung spüren zu lassen.
So ging es über ein halbes Jahr. An einem kühlen, aber klaren Septembermorgen hatte Fjörm für sich selbst und Agnar Pferde satteln lassen. Ohne den Jungen über den Zweck des Unte r nehmens zu i n formieren, ritt er mit ihm im Morgengrauen ein gutes Stück in die umli e gende Heidelandschaft hi n ein. Agnar war die einsilbige Art seines Lehrers inzwischen gewohnt und folgte ihm ohne weitere Fragen. Als Fjörm eine große freie Fläche gefunden hatte, die ihm passend erschien, stieg er ab und e r klärte seinem Schüler den Sinn ihres Ausfluges.
„Agnar, deine Fähigkeit aus den Buchenstäben zu l e sen, hat erfreuliche Fortschritte gemacht. Jetzt sollst du versuchen, dein Talent an einer weit schwierigeren Aufgabe zu erproben. Nicht vielen ist es gegeben, die Zeichen zu lesen, die die Götter uns durch den Flug der Vögel ü bermitteln. Sei also nicht enttäuscht, wenn du heute keinen Erfolg hast.“
Er wies seinen Schüler an, sich mit dem Rücken gegen die aufgehende Sonne zu stellen und r e gungslos abz u warten. Er selbst kniete sich einige Schritte entfernt hinter Agnar nieder wo er mit g e schlossenen Augen unbeweglich ve r harrte.
Agnar versuchte, sich in den Zustand zu versetzen, den er inzwischen beim Staborakel relativ leicht erreichen konnte . Jedoch fiel es ihm hier mitten in der Lichtung wesentlich schwerer, die Eindrücke der Umg e bung auszuble n den um seinen Geist zu öffnen. Lange stand er unbeweglich. Die g e broch e nen Farben der Heide schälten sich aus dem Grau des Morgens, das matte Violett der niedrigen B ü sche, das Graugrün der Gräser und das Braun der Gehölze tauchten im klaren Licht der aufgehenden Sonne aus der Dä m merung auf. Doch unvermittelt schien es ihm, als verblassten die Farben wieder, als verschwänden sie in einem grauen Fli m mern. Mit dem Verlust der Fa r ben ging ein Verlust an Einze l heiten in seiner Wahrnehmung einher. Die Lan d schaft wirkte nun wie ein grobes Mosaik aus grauen Steinchen. Er atmete mit geöffnetem Mund und ließ sein B e wusstsein treiben.
Plötzlich leuchtete am Rande seines Blickfeldes ein brauner Fleck. Agnar hatte noch nie zuvor ein Braun als eine derartig strahlende und seinen G e sichtssinn herausfordernde Farbe em p funden. Das Braun war an eine huschende Bewegung geknüpft gewesen, und ein i ge Atemz ü ge später erkannte Agnar, das es sich um eine Haselmaus gehandelt hatte. Wieder floss die Zeit dahin, das graue Mos a ik schien sich noch weiter zu vergröbern, inzw i schen war das Bild der Landschaft wie aus Stei n blöcken gehauen. Diesmal tauchte im Mi t telpunkt seiner Wah r nehmung ein metallisches Blau auf , dessen Blitzen in seinen Augen schmerzte. Er e r kannte, dass es die Reflexe im tiefschwarzen Gefi e der eines Raben waren, der über die Heide lief. Im Gege n satz zu der fast kristallin wirkenden Lan d schaft stach der sich bewegende Vogel ü bertrieben plastisch hervor und war in den Farben ins Unn a türl i che übersteigert. Agnar hatte Mühe, seinen Blick nicht abzuwenden. S eine Augen schmerzten. Eine g e raume Weile wurde er von dem Anblick des umherstapfenden Raben g e quält, als sich eine neue Bewegung ins Bild drängte. Die braunen Muster ergaben das Bild eines Rebhuhns. Auch dieses b e wegte sich eifrig scharrend durch die graue Heid e landschaft. Es hielt inne, war offe n sichtlich durch irgendeinen Laut verstört wo r den und erhob sich nun fliehend in die Lüfte. Aber statt in einem Bogen fliegend Deckung im nächsten G e
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