Der Kimber 2. Buch: Rache (German Edition)
Timaios ein Stück einer Dichtung vor, oder er belehrte ihn anhand von Zeic h nungen über das Aussehen und das Wesen der Welt, in die sein Schützling hier hineingestolpert war. Er malte ihm den Golf, die Lage des Vesuvs, die vorgelagerten Inseln und die Str a ßen nach Rom. Alles war kein Problem für seinen ausg e hungerten Geist, der die Inform a tionen behielt, als hätte er sich nie mit anderem beschäftigt. Deutlich mehr A n strengung kostete es ihn, die Erwartungen von Timaios in B e zug auf das Lesen und Schreiben zu erfüllen. Es war, als wäre das ganze zugrundeliegende Prinzip fremd für ihn, als müsse er sich jedes Mal aufs Neue über den Sinn dieser Fertigkeit klar werden. Doch Timaios ließ nicht locker. Er zitierte ihn auf einen niedrigen Schemel neben seinem Sofa, so dass er ihm beim L e sen über die Schulter schauen konnte. Der Schüler selbst hatte kein Gespür für das Rührende des Bildes, der zu groß gerat e ne Junge, der hier artig zu Füßen seines Lehrers saß, doch Timaios genoss die Situation mit leichter Selbstir o nie.
Anfangs war Timaios der Gast lästig gew e sen, und nur schwer konnte er den Widerwi l len verbergen, den die aufgezwungene G e sellschaft in ihm auslöste. Erst nach und nach versöhnte er sich mit seinem Tisc h genossen, wobei ihm die manchmal etwas kindlich unbeholfene Art des großen Mannes half. Fast fühlte er sich an die Zeit in Rom erinnert, als er die Söhne von Trebatius und deren Vetter unterrichten durfte. Er sehnte sich nach diesen Tagen zurück, obwohl die Ereignisse damals zu seiner Verbannung geführt hatten und immer noch nicht en t schieden war, ob er mit dem Leben davon kommen wü r de. Doch statt der anmutigen Jünglinge hatte er nun e i nen Barbaren zum Schüler. Der war aber immerhin ke i neswegs dumm, im Gegenteil, Timaios staunte regelm ä ßig über dessen rasche Auffassungsgabe, die in mer k würdigem Kontrast zu dem betont bescheidenen Auftr e ten stand. Nie erzählte der Barbar Geschichten aus se i nem Erfahrungsschatz, die das Gegenteil von dem eben Gesagten beweisen sollten. Wenn Timaios ve r suchte, ein wenig in die Vergangenheit zu bohren, wusste sein Sch ü ler stets auszuweichen und andere Themen anzuschne i den. Je länger sich Timaios mit dem Exgladi a tor befasste, umso intere s santer fand er ihn. Seit er ihn eines Tages überredet hatte, sich die langen Zotteln a b schneiden zu lassen, sah er sogar ganz manierlich aus. Je mehr es T i maios gelang, seine Abneigung zu überwinden, desto mehr kam ihm der Barbar entgegen und ve r suchte seinen Ansprüchen gerecht zu werden.
Als der Winter anbrach, fühlten sie sich schon fast freundschaftlich verbunden. Ihre Unterrichtsstu n den waren ins Innere des Hauses verlegt worden, da kalte Winde und Regen den Aufenthalt im Freien beendet ha t ten. Einige Kohlebecken spendeten ein wenig Wärme und Licht in den langen Nächten.
An einem Abend hatten sie ein weiteres Kapitel der O dyssee beendet, das Gespräch über das Gelesene hatte sich hingezogen. Es war bereits tief in der Nacht, als Timaios zwei letzte Becher Wein einschenkte, nach d e nen sie zu Bett gehen wollten. Er hob seinen Becher, um seinem Schüler zu zutrinken, doch unvermittelt hielt er inne.
„Nimm mir bitte nicht übel, dass ich noch einmal auf ein Gespräch zurückkomme, das wir ganz am Anfang uns e rer Begegnung g e führt haben. Gerade wollte ich dir eine gute Nacht wünschen, doch stolperte ich, wie schon ein i ge Male zuvor über deinen N a men.“
„Was ist damit?“
„Flavus ist ein Sklavenname, nein schlimmer, der Name eines Gladiators. Du aber bist ein freier Mann und sol l test deinen richtigen N a men tragen.“
„Ich habe keinen anderen Namen. Es sei denn, ‚I d iot’ gefällt dir besser.“
„Bei allen Göttern, manchmal muss man zwar schwer gegen deinen Dickschädel ankämpfen, aber das ist dann doch ein wenig zu stark.“
„In der Schule hieß ich aber so. Nicht ganz ohne Berec h tigung, denn wie soll man sonst jemanden nennen, der seinen eigenen N a men vergessen hat?“
„Du hast deinen Namen vergessen?“
„Nicht nur den Namen, ich habe alles verge s sen, was mein Leben vor der Zeit in der Kaserne au s gemacht hat. Ich weiß nicht, w o her ich komme, ich weiß nicht, wohin ich wollte. Ich kenne weder m e inen Namen, noch die Namen meiner Ahnen.“
„Wie kann das sein? Das klingt furchtbar, regelrecht beän g stigend.“
„Das war es auch. Inzwischen ist es weniger schlimm. Die
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