Der Kimber 2. Buch: Rache (German Edition)
Dunkelheit in mir wird durch die neuen Erfahrungen ein wenig überdeckt. Am schlimmsten war es, als ich in der Schule aufwachte. Mein Verstand war leer. Das einz i ge was ich fand, war ein düsteres Meer und darin eine Insel, die ich aber ganz be s timmt noch nie mit meinen Augen gesehen habe. Der Arzt der Schule sagte mir, dass ich ve r letzt worden und lange Zeit ohnmächtig gewesen war. Es muss wohl ausgereicht haben, alles aus z ulöschen, was mein bisher i ges Leben ausgemacht hatte.“
Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Mit der Zeit bemerkte ich, dass doch nicht alles verloren war. Ich verstand ja die Sprache der Römer. Als ich einmal ein Pferd sah, wusste ich, dass ich es reiten könnte, und ich hatte auch nicht vergessen, wie man ein Schwert führt. Und doch wusste ich weder, wieso ich die Sprache, noch wann und wo ich Reiten oder Kämpfen gelernt hatte. Immer wieder tauchen Bruchstücke auf, von Di n gen, die ich einst getan oder e r lebt haben muss, doch nie ist etwas dabei, das mir etwas über mich selbst sagt.“
Timaios war so erschüttert, dass er auf eine E r widerung verzichtete. Das Geschick, das den Mann ereilt hatte, erschien ihm, der Wi s sen und Kenntnisse immer über alle anderen Güter gestellt hatte, als eine der schlimmsten Strafen, die das Schicksal bereithalten ko n nte. Fast schämte er sich jetzt seiner Arroganz und der Spöttere i en, und es hätte nicht viel gefehlt und er hätte seinen Schüler um Verzeihung gebeten. Er hielt sich gerade noch zurück. Stattdessen nahm er sich vor, den Unte r richtstunden einen ernsthafteren Inhalt zu geben. Er würde mit seinem Schüler die große Liebe seines Lebens teilen, die Liebe zur Philosophie.
Einige Tage später erreichte sie eine Nachricht aus Rom. Trebatius fragte etwas ungeduldig nach den Fortschritten seines Leibwächters und wann er wohl soweit sei, dass man ihn unbesorgt in den Haushalt der Hauptstadt au f nehmen könnte. T i maios nahm sich Zeit für seinen Brief.
“Verehrter Herr, in den ersten Wochen hat eine schwere Erkrankung jede Bemühung um den Ba r baren verhindert und auch jetzt sind leider nur ge r inge Fortschritte zu erzielen. Ich bedaure, berichten zu müssen, dass der au f brausende und unstete Charakter des Ma n nes nur schwer zu bändigen ist, so dass wir immer wieder gezwungen sind, ihn in eine Kammer zu sperren, bis er sich beruhigt. Trotzdem hoffen wir alle hier sehr, dass bis zum Beginn des nächsten Frühjahrs erste Fortschritte erkennbar we r den. Ich weiß, dass diese Nachrichten wenig erfreulich sind. Deshalb möchte ich auch mit einer a n genehmen Botschaft schließen: der zweite Akt des Heldendramas nähert sich seiner Vollendung. Eine Abschrift des Ne u geschaffenen liegt dem Schreiben bei. In tiefer Dankba r keit....“
„Wenn ich das richtig verstanden habe, dann sitzen diese Menschen also gefesselt in einer Höhle, wobei sie den Rücken dem Ausgang zuwenden. Ihr Blick richtet sich gegen eine Art Wand, auf der sie Scha t ten sehen.“
„Sehr richtig, mein Junge.“
Timaios hatte sich irgendwann ein wenig gehen la s sen und begonnen, seinen Schüler in Anbetracht von dessen kindlicher Oberlippe mit „mein Junge“ anzusprechen. Dieser hatte es sich mit einem halben Grinsen gefallen lassen und seither war es dabei geblieben.
„Die Schatten werden durch Gegenstände erzeugt, die von Menschen hinter einer Mauer vorbeigetragen we r den, so dass nur die Gegenstände über die Mauer hinau s reichen und ihr Bild mittels eines am Eingang der Höhle hell lodernden Feuers als Umrisse auf der Wand ersche i nen.“
„Stimmt genau!“
„Nun sind die Menschen aber von Geburt an daran g e wöhnt, in dieser Höhle gefesselt am Boden zu liegen, so dass sie diese Abbilder für die Wahrheit nehmen.“
„So ist es.“
„Du erklärst mir nun, dass wenn es einem aus ihren Kr e ise bestimmt wäre, die Fesseln abzustreifen und die Höhle zu verlassen, er notwendigerweise in das helle Licht des Tages gelangen müsste und von dem, was er dort sehen könnte, geblendet wäre, so dass er zunächst lieber zu den anderen zurückeilen würde.“
„Genau.“
„Wenn er aber lange genug im Lichte festg e halten würde, so würde er sich daran gewöhnen, sein bis h eriges Leben verachten und Mitleid mit dem beschränkten Dasein seiner ehemaligen Gefährten empfinden.“
„Ganz richtig.“
„Jedoch wenn er dann zurück ginge, um den Me n schen in der Höhle vom hellen Licht zu berichten, so
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