Der Kimber 2. Buch: Rache (German Edition)
Weisheit den Familien mehr Trost bringt: Dass die Körper der Seeleute zerschmettert und von den Fischen gefressen wurden? Oder, dass die Männer dem unwiderstehlichen Gesang der Sirenen ve r fallen sind und seither am Mee r esgrund in ewiger Jugend und Sinnenfreude leben?“
„Wahrscheinlich ist der zweite Gedanke tröstl i cher.“
„Darüber hinaus ist es sogar einmal einem Mann gelu n gen, dem Gesang zu lauschen und doch dem Locken der Sirenen zu wide r stehen, so dass er von ihnen berichten ko n nte.“
„Wer war das?“
„Es war einer der größten Helden meiner Heimat, und seine Taten wurden von dem berühmtesten Dichter aller Zeiten besungen. Sein Name lautet Odysseus.“
So begannen ihre Unterrichtsstunden.
Anfangs hatte er Timaios nicht getraut. Der kleine b e wegliche Mann, der fast doppelt so alt war wie er selbst selbst, hatte ihn nervös gemacht. Er war sich nie sicher gewesen, wann er von ihm verspottet wurde. Doch mit der Zeit spürte er, dass es seinem Lehrer ernst war mit ihm und er ihm vertrauen konnte. Wenn der lebhafte Timaios wieder einmal seinen Spaß mit ihm trieb, veru n sicherte ihn das bald nicht mehr übermäßig, sondern wartete einfach geduldig, bis jener seinen Übermut abg e kühlt hatte und wieder in die normalen Bahnen zurüc k fand. Er musste eingestehen, dass mit den Spö t teleien auch wirklich immer eine ernsthafte Absicht ei n herging. Zum Beispiel führte Timaios eine kleine Komödie auf, die verdeutlichen sollte, wie alle Bewohner des Gutes Hungers sta r ben, weil sie sämtliche Vorräte an den neuen Gast verfüttert hatten. Bei einer Mahlzeit war Timaios ermattet und Klagen ausstoßend auf seinen Polstern z u rückgesunken und hatte die Augen brechend zu Himmel verdreht. Eine sehr eindrucksvolle Aufführung, die dazu führte, dass er sich mühsam auf kleinere Portionen u m gewöhnte. Das war mehr als schwierig, denn in den Ja h ren in der Schule waren die Kämpfer gehalten gew e sen, soviel von der mästenden Pampe zu sich zu nehmen, wie nur irgendwie möglich war. Nicht nur, dass die Portionen hier im Vergleich geradezu winzig waren, auch hie l ten die leichten Gemüse und das bisschen Fleisch kaum vor. Wenn er sich nicht vor T i maios geschämt hätte, wäre es ihm wohl nie gelungen, aber nach einiger Zeit hatte sich sein Körper soweit umgestellt, dass er fast mit dem G e botenen auskam. Das, was er nun noch mehr bea n spruchte, rechnete man seiner ungewöhnlichen Größe zu und gönnte es ihm. Im Gegenzug verlor er das gedunsen Schwammige seines Körpers, er empfand es als sehr a n genehm, auch äuße r lich seine Zeit als Gladiator hinter sich zu lassen.
Er versuchte soviel wie möglich von dem zu profi t ieren, was Timaios ihm anbot, um die Leere in seinem Geist zu füllen und Abstand zu den Gedanken an seine Insel zu gewi n nen. Diese war ihm nämlich seit einiger Zeit immer weniger eine Zuflucht, als vielmehr ein Ort des Unbeh a gens g e worden. Die Kuhle im Sand brauchte er nun nicht mehr angesichts einer Realität, die ihn jeden Tag mehr begeisterte und interessierte. Stattdessen g e wann die Kate im Schilf an Raum, und jedes Mal, wenn er seine Insel besuchte, schien ihm die Hütte größer und farbiger, irgendwie lebendiger geworden zu sein. Er war sich s i cher, dass sie in den Albträumen eine Rolle spielte, die ihn weiterhin jede Nacht peinigten und weckten, doch es gelang ihm nie, sie nach dem Erwachen in den wirren Bildern wiederzufinden.
Die Traumbilder rissen ihn regelmäßig lange vor Tage s anbruch aus dem Schlaf und verhinderten, dass er wieder zur Ruhe kam. Er hatte sich angewöhnt, das Gut zu ve r lassen, um im Mondlicht durch die Ländereien der U m gebung zu streifen. Bald fand er sich auch zurecht, wenn der Mond weniger hell schien, so dass er von Mal zu Mal seine Wege weiter ausdehnen konnte. Er hatte es sogar schon geschafft, auf die Landstraße zu gehen und wieder umzukehren, obwohl ihm das Experiment anfangs w a gemutiger erschienen war, als seine Kletterei in den Kli p pen. Hier, an der Steilküste, end e ten seine Exkursionen auch regelmäßig bei Sonne n aufgang. Ein paar Stunden später fand er sich dann wieder im Haus ein, wo er mit T i maios frühstückte. Danach war er müde genug, um den versäumten Schlaf nachz u holen, und wenn er wieder aufwachte, erwartete ihn sein Lehrer mit der Mittag s mahlzeit im Schatten einer Platane im Garten. Nac h dem sie etwas geruht hatten, begannen sie ihre Stunden. En t weder las ihm
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