Der Kimber 2. Buch: Rache (German Edition)
verdanken hatte, dass es nur nötig wäre, die Tatsachen nachträglich an seinen Willen und seine Pflicht anzupassen, um wenigstens diese Schmach von sich abzuwaschen. Zu diesem Zweck hatte er sich, noch immer fi e bernd, auf den Weg gemacht und sich bis zur Klippe vorgekämpft. In der Rechten hielt er das schwere Fleischmesser, das er sich aus der Küche verschafft hatte. Er stellte sich mit dem Rücken zur au f gehenden Sonne und verharrte regungslos. Sein Blick schweifte über das dunkle Meer, dessen Farbe sich lan g sam zu einem tiefen Blau erhellte. Er wollte noch ein wenig warten, bis das Wasser zu jenem himmlischen Türkis gewandelt war, um dann das Ende seines Weges zu finden.
Lange stand er unbeweglich. Das Rauschen der Bra n dung verschwand aus seinem Bewusstsein, und erst nach einer Weile bemerkte er, dass die Farben nicht klarer wu r den, sondern im Gegenteil in einem grauen Flimmern verschwanden. Das Meer hatte seine Bewegung und das Blau verloren und war zu einer einheitlich grauen Fläche g e worden, die sich übergangslos in den ebenfalls grauen Himmel for t setzte. Er atmete mit geöffnetem Mund und wartete. Plötzlich drang ein Laut in seine Wahrne h mung. Er neigte den Kopf, das Geräusch kam von O s ten, hinter seinem Rücken her, und als es sich wiederholte, erkannte er das Krächzen eines Vogels. Langsam drehte er sich um. Die Landschaft hinter ihm sah aus wie aus grauen Gesteinsblöcken gesc h lagen. Jeder Gegenstand war in seiner Kontur ve r gröbert und bis zur Unkenntlichkeit entstellt, die Farben verschwunden. Das Krächzen wi e de r holte sich, und er bemerkte eine Bewegung am Rande seines Blickfeldes. Ein meta l lisches Blitzen traf sein Auge und blendete ihn für kurze Zeit. Als er wieder sehen konnte, erkannte er, dass es sich um die Reflexe im tie f schwarzen Gefieder eines Raben ha n delte. Der Vogel trat in der gespenstischen Landschaft fast übertrieben pla s tisch hervor. Agnar hatte Mühe, seinen Blick nicht abz u wenden und seine schmerzenden Augen zu schützen, als er vom Rande seines Blic k feldes eine neue Bewegung wahrnahm. Wieder traf ihn der metallisch blaue Strahl, und er erkannte einen zweiten Raben, der sich flatternd seinem Partner annäherte. A g nar fühlte sich den Tränen nahe, das hier ging über eine Kraft, er war hierher g e kommen um endlich zu sterben, doch Hugin und Munin brachten ihm eine Botschaft. Das Messer entfiel ihm, er schlug die Hände vor das Gesicht. Erst nach einer g e raumen Weile hatte er die Energie wiedergefunden, se i nen Kopf zu heben und sich dem Anblick der B o ten Odins erneut zu stellen. Das Bild, das sich nun vor se i nen Augen entfaltete, zerstörte endgültig seine Hof f nung auf ein Ende seiner Leiden. Der Himmel, der zuvor noch ein Teil der düstergrauen Szenerie gewesen war, hatte sich tiefrot gefärbt, rot wie Blut, rot wie die See um seine Insel. Auf einem Felsen ganz nah bei ihm saß das R a benpaar und musterte ihn unverwandt. Ein Schwächea n fall überkam ihn, und während er noch damit kämpfte, formte sich die Botschaft klar und ganz von selbst in seinen Gedanken. Er hatte verstanden, er durfte auch hier nicht sterben. Er war am Leben geblieben, um Odin auch weiterhin zu dienen, um der Vollstrecker und das Instrument seines Willens zu sein. Er war ausersehen als das Werkzeug der Rache. Zögerlich erwiderte er den Blick der beiden Raben, die sich nach kurzem Zögern in die Lüfte schwangen und in Richtung Norden davonfl o gen.
16. Kapitel
Der Raritätenhändler
Das Fieber klang ab, doch nichts wurde wieder so, wie es zuvor gewesen war. Timaios suchte verg e blich nach dem Mann, den er seit über einem Jahr unterrichtet und ang e leitet hatte. Das Weiche, U n bestimmte, das jugendlich Formbare war vollständig aus dem Wesen seines Schülers verschwunden. Stattdessen war ein Mann zurückgebli e ben, an dessen dumpfem Brüten jeder Versuch der Ko n ta k taufnahme zerbrach. Ihre Gespräche beschränkten sich auf das rein Sachliche, das gerade eben nötig war, um den Tagesablauf zu koordinieren. Doch selbst das war an manchen Tagen nicht nötig, da Agnar schon im Morgengrauen aus der Villa verschwunden war, um erst spät in der Nacht zurück zu kommen. Timaios hatte s o gar Schwierigkeiten ihn anzusprechen, da es ihm inzw i schen unmöglich erschien, den harten, verschloss e nen Mann weiterhin mit „mein Junge“ zu titulieren. A n fangs, solange Agnar krank gewesen war, hatte er es noch einige Male probiert, hatte aber
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