Der Kimber 2. Buch: Rache (German Edition)
er schon auf der Reise hierher hatte bemerken müssen, dass Hugin und Munin ihm folgten. Auch hier in Rom hatte er sie bereits mehrfach gesehen, entweder hoch oben am Himmel oder ganz in der Nähe auf einem Dach. Immer hatte er ihre scharfen Augen auf sich g e richtet gefühlt, so dass er nur zu deutlich die Aufford e rung empfunden hatte, die in diesen Blicken lag. Er hatte sich einige Holzstäbe zurechtgeschnitzt und ve r sucht, mit ihnen ein Orakel zu werfen, doch entweder fehlte den Hölzern hier die Macht, oder er hatte den Blick für die Bilder verloren. Nie gelang es ihm, aus den Mustern e i nen Hinweis zu ziehen. So musste er sich darauf b e schränken, durch die Gassen Roms zu streifen und die Stadt seiner Feinde zu erforschen.
Die nähere Umgebung der Villa war durch die r u hige, vornehme Lage wenig interessant. Erst, als er sich weiter in Richtung der Stadtmitte vorwagte, konnte er mehr vom Leben in Rom und von ihren Bewohnern entd e cken. Vor den Eingängen der oft mehrstöckigen Häuser hatten Handwerker ihre Waren aufgebaut, die sie in den dunklen und feuchten Werkstädten anfertigten. Vor a l lem Schreiner, Korbflechter und Weber, aber auch B ä cker und Metzger waren in den Straßen zu finden. D a zwischen gab es I m bissstuben und Schänken in großer Zahl, die vom frühen Morgen an reichlich Kun d schaft fanden. Die Gastwirte suchten ihren Umsatz noch zu steigern, indem sie vor den Türen zu ihren Wirtschaften standen, die Vorbeig e henden ansprachen und zu einem Besuch zu überreden suchten. Einige b e sonders eifrige zogen die zukü n ftigen Gäste sogar an den Kleidern, um sie aufzuhalten. Agnar hatte sich ab und zu schon rege l recht losreißen müssen, um den Zudri n glichkeiten zu entg e hen. Nachdem er die Stadt und die Vorstädte mit ihren ärmlichen Bewohnern erkundet hatte, konzentrierte er sich für einige Zeit auf die ve r schiedenen Tempel und Heiligtümer. Über das gesamte Stadtgebiet verstreut fa n den sich größere und kleinere Altäre, Schreine und Ba u ten, die dem Ruhme ve r schiedener Götter dienten. In den Höfen d a vor oder in den Säulenkolonnaden, die die größeren Tempel umgrenzten, saßen Bettler, Wah r sager und Händler, die mit Opfergaben und Bittsprüchen ha n delten. Manche boten Früchte und Erfrischungen an. Auf kleinen Holzöfen wurden Brotfladen oder billiges Fleisch zubereitet. Agnar brauchte lange, bis er gedan k lich Ordnung in die Fülle der Gottheiten gebracht hatte, denen hier in Rom g e huldigt wurde. Er überwand sich und sprach Priester und Gläubige an, um sich Auskunft über das Wesen, die Herkunft und die Aufgaben der verehrten Gottheiten zu verschaffen. Langsam ve r stand er, dass nur ein kleiner Teil der Heiligtümer ihren U r sprung im römischen Glauben hatte. Der größere Teil der Tempel war von ehemaligen Sklaven, ausländischen Händlern oder heimk e hrenden Soldaten für fremde Gottheiten errichtet worden, denen man, wie ihre A n hänger versiche r ten, inzwischen mehr Kraft und Hilfe zutraute als den an g estammten Göttern. Vor allem aus Asien und Ägypten war eine Fülle von Kulten nach Rom gebracht worden, die inzwischen regen Zulauf fa n den. Nach einiger Zeit fühlte Agnar sich ausreichend info r miert, und der Eifer der Tempelgänger, die einen neuen Adepten in ihm ve r muteten, ging ihm zunehmend auf die Nerven. Lieber streifte er wieder planlos durch die Ga s sen, so wie er durch die Lan d schaft am Golf gestreift war.
Verwundert und angeekelt stellte er fest, dass an vielen Stellen der Stadt ein Bildnis in Stein gehauen war, das ihm völlig unve r ständlich war. Die Wölfin, die zwei Knaben säugte, gab ihm reichlich zu denken. Der Wolf war für ihn das widerwärtigste, bedro h lichste Tier, der Aasfresser, der nach der Schlacht die Leichen der Krieger anfrisst und sich verachtet und gefürchtet in den Wäldern verkriecht. Als man ihm erklärte, dass die Wölfin mitg e holfen hatte, die Stadt zu gründen, fand er das aus seiner Sicht plausibel. Dennoch blieb ihm rätselhaft, w a rum man eine derartig schändliche Abstammung noch an allen Häuserecken breittreten wollte. Die Menschen und ihre Mythen blieben ihm fremd. Er betrachtete das L e ben um sich wie aus weiter Ferne, als wäre er durch eine u n sichtbare Wand von den Sorgen und Freuden der Menschen um sich getrennt. Er vermied es, Freundscha f ten zu knüpfen, und obwohl er manchmal auf seinen Gängen Durst litt, wäre er nie auf den Gedanken g e kommen, eine der
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