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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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leid, aber wir müssen los.«
    »Gut«, sagte Amos. »Ihr verpestet hier eh nur die Luft.« Er grinste Peter an.
    Der erwiderte sein Grinsen. »Wir sind so schnell wie möglich zurück.« Er verabscheute den hohlen Klang seiner Worte.
    »Klar doch«, sagte Amos. »Ich warte hier. Du weißt schon … halte die Stellung.« Er zwinkerte ihm zu.
    Während Nick den Wassereimer auffüllte, stöberte Peter eine Schale Nüsse und getrockneter Beeren auf und ließ sie dem verwundeten Jungen da. Als er die schwere Tür hinter ihnen zuzog, versuchte er nicht zu viel über Amos nachzudenken, der allein zum Sterben zurückblieb, und er gab sich Mühe, Nicks anklagende Stimme aus seinem Kopf zu verbannen.
Wie viele von ihnen sind für deine gottverdammte Dame gestorben?
     
    »Mir nach«, rief der Kapitän. Hinter ihm drängten sich die Männer mit gezogenen Waffen auf dem Sims. Ihre Mienen waren entschlossen, bereit, den Kampf mit allen Dämonen aufzunehmen, die sie erwarten mochten.
    »Jetzt werden wir ja sehen«, sagte der Kapitän, holte tief Luft und stürmte durch den Wasserfall. Das Wasser traf hart auf seinen Nacken und ließ ihn gegen die Wand taumeln, doch dann war er hindurch. Mit stampfenden Schritten rannte er durch eine kurze Höhle, und plötzlich fand er sich in einer grün schimmernden, üppigen Pflanzenwelt mit sanft geneigten Felswänden und golden schimmernden Steinen wieder. Er lief ein paar Schritte weiter und kam schließlich am Ufer eines kleinen,stillen Teichs zum Stehen. Dort senkte er sein Schwert und starrte auf den Garten. Hinter ihm strömten die Männer herein, doch auch sie verstummten und blieben stehen.
    Keine Dämonenhorden erwarteten sie, nur Angehörige des geflügelten Volkes in all seinen Spielarten, die umhersummten oder auf filigranen Ranken- und Buschblüten hockten. Dazu kamen Dutzende zahmer Tiere: Kaninchen, Rotwild, Eichhörnchen, bunte Affen und alle Arten von Vögeln, die sie allesamt stumm beobachteten. Die heitere Gelassenheit, die vollkommene Ruhe und der Frieden hier waren so weit entfernt von der höllischen Dämonengrube, mit der sie gerechnet hatten, dass die Männer zu vergessen schienen, wozu sie hier waren.
    Der Kapitän vergaß es
nicht
. Die Dame war nirgends zu sehen, doch es bereitete ihm keinerlei Schwierigkeiten, den Apfelbaum zu finden. Er befand sich im Herzen des Heiligtums und schien auf der Teichoberfläche zu schwimmen.
    »Endlich.«
Der Kapitän nahm seinem Offizier die Axt aus der Hand. Er watete in den Teich, schwamm die letzten paar Meter und ging auf der kleinen Insel an Land.
    Da ist er
, dachte er,
nach all den Jahren. Da ist er
. Er hob die Axt, und just in diesem Moment sah er sie am gegenüberliegenden Ufer: die Dame. Sie saß auf einem Thron aus weißen Steinen. Er begriff, dass sie schon die ganze Zeit über da gewesen war und dass er ihre Gestalt für eine Ansammlung von Schmetterlingen und Blumen gehalten hatte.
    Die Dame erhob sich, und in diesem Moment erkannte der Kapitän, dass sie tatsächlich aus Schmetterlingen bestand, aus unzähligen winzigen weißen Schmetterlingen. Ihre schmale, anmutige Gestalt schwebte auf den Teich hinaus und verharrte auf der Wasseroberfläche, die sich kaum merklich unter ihr kräuselte. Er blickte ihr in die Augen, die bodenlosen himmelblauen Augen, und erkannte seinen Fehler in dem Moment, als ihr Blick in seine Seele eindrang. Plötzlich fühlte er sich sehrweit entfernt, als beobachtete er sich selbst in einem Traum.
Kapitän
, rief sie, und ihre Stimme klang wie süßer Chorgesang in seinem Kopf.
Komm mit mir. Lass mich dich nach Hause bringen
.
    Sirenengesang
, dachte er.
Das ist ein Totenlied
. Aber ihre Stimme hatte ihn bereits in ihren Bann geschlagen, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als ihr in den Teich hinab zu folgen.
Ja. Mein Zuhause liegt auf dem Grund dieses Gewässers. Dort warten meine Frau und meine Kinder auf mich
. Er spürte, wie die Axt seinen Fingern langsam entglitt.
    Aus unendlich weiter Ferne hörte er den Prediger salbadern und das heilige Wort gen Himmel kreischen. Er befahl den Männern, die Dämonengrube auszubrennen und alle Kinder Satans zu vernichten. Der Einfluss der Dame auf ihn verblasste.
»NEIN«
, fauchte sie und wandte sich den Männern zu. Ihre Gestalt wuchs, bis sie sie beinahe um Mannslänge überragte. Die zahllosen Schmetterlinge, aus denen ihr Körper bestand, wurden erst rot und dann schwarz. Als sie die Arme ausbreitete, verblasste das goldene Licht der

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