Der Kinderdieb
spinnengleich. Ihr Körperbau entsprach etwa dem von Kindern, doch etwas daran war falsch, als hätte man sie in die Länge gezogen. Große, runde Flecken und lange, aufgemalte Streifen waren auf ihren Armen und Beinen zu sehen. Ihre kräftigen, drahtigen Muskeln schimmerten im schwachen Licht. Manche von ihnen hatten verfilzte, räudige Felle an, die mit kleinen Knochen, abgebrochenen Hauern und Zweigen geschmückt waren. Um die Knöchel und Handgelenke trugen sie Bänder aus Leder und Ranken. Ihre Gesichter waren hinter Teufelsmasken aus Fell und Haar, Federn und Hörnern verborgen.
In einem hektischen, zuckenden Tanz näherten sie sich dem Jungen. Schließlich hatten sie den Käfig umstellt und starrten mit wilden, irren goldenen Augen zu ihm herein, Augen, diegenauso aussahen wie die von Peter. Jetzt begriff Nick, dass der Kerl ihn tatsächlich reingelegt hatte. Der spitzohrige Junge hatte ihn an der Nase herumgeführt, damit diese Geschöpfe ihn … ihn
was?
Nicks Blick wanderte zu den langen Messern, in ihre hungrigen Augen.
»WAS WOLLT IHR?«,
schrie er mit zitternder Stimme.
Zur Antwort rollten sie wie im Fieberwahn mit den Augen, grinsten breit und zahnreich und klapperten mit den Zähnen, klapperten, klapperten, klapperten. In der Stille der Höhle klang das Geräusch ohrenbetäubend.
Nein, nein, nein
, dachte Nick.
Aufhören!
Nick zog sich in sich selbst zurück, wie er es schon im Nebel getan hatte. Er hatte nicht das Bedürfnis, seinen eigenen Tod mit anzusehen, aber wenn es denn sein musste, wollte er dabei lieber ganz hinten sitzen und sich die Augen zuhalten.
Sie öffneten seinen Käfig und zerrten ihn heraus. Starke, grausame Finger bohrten sich in sein Fleisch. Jemand hängte ihm ein Halsband aus Zähnen und Knochen, Fingern und Ohren –
Menschenfingern und Menschenohren
– um den Hals. Sie zogen ihn zu dem Turm aus Wurzeln und begannen, im Kreis um ihn herumzutanzen, wobei sie Ranken um ihn wickelten, kicherten, ihm die Zungen rausstreckten, während sie weiter mit den Augen rollten und mit den Zähnen klapperten. Er wünschte, dass sie ihn endlich töten würden, einfach nur, damit er dieses schreckliche Klappern nicht mehr hören musste.
Von irgendwo weiter weg kam ein Scheppern. Die Dämonengezüchte, die monströsen Kinder oder worum es sich auch immer handelte, hielten inne. Sie schwiegen.
Der Nebel hatte sich beinahe verzogen, und Morgenlicht drang durch mehrere schräge Fenster. Langsam schälten sich die Außenwände des runden Raums aus dem Halblicht. Es handelte sich um eine Mischung aus grob behauenem Stein und natürlichen Höhlenwänden. Nick konnte deutlich eine roteTür erkennen, die von riesigen Wurzeln umgeben war, fassdicken Wurzeln. Der Junge konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie groß ein Baum mit solchen Wurzeln sein musste. Er gab sich Mühe, zu erkennen, wohin das Wurzelwerk führte, doch es verschwand in der Decke der Kammer.
Die Dämonenkinder starrten zu der roten Tür. Eines von ihnen sprach mit gedämpfter Stimme. »Die Teufelsbestie kommt.«
»Sie kommt, um Knochen zu brechen und Mark zu schlürfen«, sagte ein weiterer Junge.
Einige andere antworteten mit einem begierigen Flüstern: »Bald werden wir alle essen.«
Sie schwärmten aus, bildeten einen weiten Kreis und begannen, sich mit den Fäusten in die Handflächen zu schlagen.
Die Angst schärfte Nicks Sinne, und ihm fiel auf, wie sehr es nach altem Schweiß, gekochtem Fleisch, nassem Laub und Käfern roch. Er fasste die rote Tür ins Auge. Näherte sich da wirklich etwas, das ihn kochen und auffressen würde? Er wollte es einfach nicht glauben. Trotzdem erwischte er sich dabei, wie sein Blick zu den Messern und Beilen schweifte, zu den dunklen Flecken auf der Erde und den kindgroßen Töpfen, die über der Feuerstelle hingen. Er wurde den Gedanken an die aufgehängten Menschenleiber nicht los.
Ich will nicht sterben
, dachte er und stellte fest, dass er weinte.
Von hinter der roten Tür war lauter werdendes Glockenläuten zu vernehmen. Dann brach das Geräusch plötzlich ab. Er hörte, wie ein Riegel beiseitegezogen wurde, und die Tür schwang nach innen auf.
Ein Ungeheuer stand auf der Schwelle. Es war einen Kopf größer als die übrigen Geschöpfe, in Felle gekleidet und trug eine Maske aus Knochen und Fell. Geschraubte Ziegenhörner ragten ihm zu beiden Seiten aus dem Kopf, und filziges Haar hing ihm in einem dicken Zopf auf den Rücken herab. Die gesamteErscheinung,
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